1. Leipziger Herbstsalon, 1984: Onlinepräsentation

Vortrag von Lutz Dammbeck im Rahmen des Symposiums Subversive Praktiken (31. Mai 2009)

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01 Leipzig Plagwitz, 1984. Historisches Industrieviertel, hier haben einige der Künstler ihr Atelier (Foto: Karin Plessing)
01 Leipzig Plagwitz, 1984. Historisches Industrieviertel, hier haben einige der Künstler ihr Atelier (Foto: Karin Plessing)
02 Vorbereitung des Herbstsalon 1984, Plastikgarten von Günter Huniat (Foto: Karin Plessing)
02 Vorbereitung des Herbstsalon 1984, Plastikgarten von Günter Huniat (Foto: Karin Plessing)
03 Vorbereitung der Ausstellung „Tangenten 1“, 1977 (Foto: Karin Plessing)
03 Vorbereitung der Ausstellung „Tangenten 1“, 1977 (Foto: Karin Plessing)
04 Ausstellungsaufbau Herbstsalon, im Hintergrund das Alte Rathaus (Foto: Karin Plessing)
04 Ausstellungsaufbau Herbstsalon, im Hintergrund das Alte Rathaus (Foto: Karin Plessing)
05 Thomas Plenert bei Filmaufnahmen im Herbstsalon (Foto: Karin Wieckhorst)
05 Thomas Plenert bei Filmaufnahmen im Herbstsalon (Foto: Karin Wieckhorst)
06 Grimmling, Dammbeck, Firit stellen Bernhard Heisig ein Ultimatum (Foto: Ernst Goldberg)
06 Grimmling, Dammbeck, Firit stellen Bernhard Heisig ein Ultimatum (Foto: Ernst Goldberg)
07 in der Ausstellung: Lutz Dammbeck, Christoph Tannert, Hans-Hendrick Grimmling (Foto: Karin Wieckhorst)
07 in der Ausstellung: Lutz Dammbeck, Christoph Tannert, Hans-Hendrick Grimmling (Foto: Karin Wieckhorst)
08.1 Herakles Konzept von Lutz Dammbeck (Foto: Karin Plessing)
08.1 Herakles Konzept von Lutz Dammbeck (Foto: Karin Plessing)
08.2 Herakles Konzept von Lutz Dammbeck (Foto: Karin Plessing)
08.2 Herakles Konzept von Lutz Dammbeck (Foto: Karin Plessing)
09 Party im Herbstsalon, Günter Firit (Foto: Karin Plessing)
09 Party im Herbstsalon, Günter Firit (Foto: Karin Plessing)
10 Party im Herbstsalon (Foto: Karin Plessing)
10 Party im Herbstsalon (Foto: Karin Plessing)
11 Ausstellungseröffnung in der neugegründeten Produzentengalerie EIGEN + ART, 1985 (Foto: Ernst Goldberg)
11 Ausstellungseröffnung in der neugegründeten Produzentengalerie EIGEN + ART, 1985 (Foto: Ernst Goldberg)
12 Ausstellungsplakat, Gestaltung Lutz Dammbeck
12 Ausstellungsplakat, Gestaltung Lutz Dammbeck

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich bedanke mich ganz herzlich für die Einladung und die Gelegenheit, im Rahmen dieses Symposiums über das Beispiel einer „Subversiven Praxis“ sprechen zu dürfen, das man wohl als eines der wichtigsten und folgenreichsten Kunstprojekte in den 1980er Jahren in der ehemaligen DDR bezeichnen kann – den „1. Leipziger HERBSTSALON“. Dazu zeige ich Ihnen nach einer kurzen Einführung einen Zusammenschnitt von stummen Archivmaterial in schwarz-weiß und bitte eventuelle Asynchronitäten der Bilder mit meinem Text zu entschuldigen, da der Text nicht originär als Filmkommentar konzipiert wurde.

1. Leipziger HERBSTSALON: 6 Leipziger Maler, Bildhauer und Filmemacher besetzten 1984 mit Mut und Partisanentaktik ein Messehaus im Herzen der Leipziger Innenstadt, um dort auf einer Fläche von über 1000 qm eine von ihnen selbst kuratierte, unzensierte und damit staatlicher Kontrolle und Aufsicht entzogene Gruppenausstellung zu machen.
Diese temporäre Rückeroberung öffentlichen Raums mit künstlerischen Mitteln war eine in der damaligen DDR ungeheuerliche und bis dahin in dieser Dimension ungesehene Infragestellung des Machtmonopols von Partei und Staatsführung. Zugleich war die Ausstellung eine Initialzündung vor allem für jüngere Künstler in den damaligen Kunstzentren der DDR wie Dresden, Berlin oder Karl-Marx-Stadt, die u.a. zur Gründung der Produzentengalerie EIGEN+ ART in Leipzig oder des Dresdner Frühlingssalon führte, aus dem ja später die Gruppe der Autoperforationskünstler hervorging.

Die Vorbereitungen zum „Ersten Leipziger Herbstsalon“ begannen im Sommer 1984. (Abb. 01, 02) Was die sechs Maler, Bildhauer und Filmemacher zusammenführte, war mehr als nur Stilverwandschaft oder die Enge der kleinen DDR: sie wollten ein klar vernehmbares Zeichen setzen, das nicht nur künstlerische, sondern  auch politische Wirkung hatte.

Acht Jahre zuvor war ihr Versuch, mit dem intermedialen Ausstellungskonzept „Tangenten 1“ die Schnittstellen von bildender Kunst, Film, Tanz, Musik in einer eigens entworfenen Ausstellungsarchitektur zu erkunden und damit die von der SED verkündete „Weite und Vielfalt sozialistischer Kunst“ beim Wort zu nehmen, kurzerhand verboten worden. (Abb. 03) Dies und viele andere Repressalien hatten die Maler illusionslos gemacht, was ihre Zukunft im „Betriebssystem Kunst“ der DDR betraf.
„Eingraben (in der DDR) oder Weggehen (in den Westen)“ war die Frage, die von den Malern in der Folgezeit fast täglich diskutiert wurde.
Am achten Jahrestag des gescheiterten Tangentenprojekts beschließen sie nun, noch einen Versuch zu wagen. Flagge zu zeigen, und den eigenen Kunstanspruch unzensiert öffentlich zu machen.
Sie beschließen, am Leipziger Marktplatz eines der großen Messehäuser zu mieten, und darin eine Ausstellung machen. Leipzig - die Stadt der Messen!
Der Titel der Ausstellung ist programmatisch und ironisch zugleich: „Erster Leipziger Herbstsalon“, in Anspielung auf Herwarth Waldens Ausstellung im Jahr 1913.

Das Vorhaben der Maler erscheint zunächst utopisch. Jeder Text, jedes Bild, jedes Stück Film und jedwede künstlerische Äußerung ist in der DDR vor ihrer Veröffentlichung genehmigungspflichtig. Ein dichtes Netz von Filtern, Verordnungen und Kontrollen regelt, was öffentlich vorgeführt oder gezeigt werden darf. Das Monopol, eine solche Genehmigung zu erteilen, liegt allein bei Partei und Staat.
Um dieses engmaschige Netz von Kontrollen zu unterlaufen, greifen die Maler zu einer List. Sie stellen sich beim Leipziger Messeamt, dem Eigentümer und Vermieter des Messehaus am Markt, als Mitglieder des staatlichen Künstlerverbandes vor, die eine der Etagen für eine Ausstellung mieten wollen, und schließen mit dem Messeamt einen Mietvertrag.
Das Messeamt ist der Meinung, mit dem Staatlichen Künstlerverband selbst einen Vertrag abzuschließen, dessen Mitglieder die Maler ja sind. Niemand im  Messeamt kann sich vorstellen, daß Privatpersonen eine Messehaus mieten, um dort zu zeigen, was sie für gut und richtig halten. Das ist im System nicht vorgesehen und eine Grauzone, in die bislang noch niemand vorgedrungen ist.

Während die umfangreichen Vorbereitungen der Maler anlaufen, wächst zugleich ihr Unbehagen und auch ihre Angst. Für das Herstellen der geplanten Einladungskarten, Ausstellungskataloge und Plakate ohne eine staatliche Druckgenehmigung sieht das Strafrecht der DDR hohe Freiheitsstrafen vor, ebenso wie für ein ungenehmigtes Ausstellungs-projekt. Auch das Ausmaß der zu erwartenden Konfrontation wird langsam klar: Die Maler stellen „die Machtfrage“, mitten in der Stadt
und öffentlich.

Mit dem Lastwagen eines mit den Malern befreundeten Schrotthändlers und Kunstfreunds werden in mehreren Transporten die Arbeiten aus den Ateliers zum Marktplatz gefahren. Einer der Maler kennt einen Kameramann, Thomas Plenert aus Berlin. Der kommt noch am selben Abend mit einer von der DEFA kurzerhand entwendeten 16mm Kamera und einigen Rollen schwarz-weißen Umkehrfilms im Rucksack mit dem Zug nach Leipzig. So kann der Transport der Bilder und Teile des Ausstellungsaufbaus dokumentiert werden. (Abb. 05)

Eines der Ziele, die die Maler mit der Ausstellung verfolgen, ist den künstlerisch längst vollzogenen Bruch mit der in Leipzig dominierenden Malerei der „Leipziger Schule“ öffentlich zu machen. Die Maler wollen zeigen, daß in Leipzig neben den Großmeistern einer „sozialistisch-realistischen Malerei“ und deren Schülern, von den westdeutschen Medien wohlwollend als „Dürers rote Erben“ etikettiert, in den letzten Jahren eine andere Kunst herangewachsen ist, die interdisziplinär und auch multimedial ist, und sich von staatlicher Alimentierung und Vereinnahmung abzugrenzen versucht.
Die Maler wollen nicht nur in ihren Ateliers darüber nachdenken, "wie man sich verhalten sollte", sondern auch öffentlich über geistige Konzepte für ihre Kunst diskutieren. Dazu gehört die Suche nach Traditionslinien für eine eigene künstlerische Sprache: statt dem Leipziger Mix aus Menzel, Klinger, Corinth, etwas Beckmann, altdeutscher Zeichenkunst und von der Partei suggerierten Themen setzen sie die gesuchte Nähe zu John Heartfields Montagen, zu den Filmen von Ruttmann, Fischinger, Richter, Eggeling oder den Ideen des Bauhaus und der Surrealisten – oder zu den Filmen von Godard und Antonioni, Kieslowski, Marta Meszaros, Ferenc Kosa, Gabor Body oder Andrej Tarkowski, um nur einige Namen zu nennen.

Während die Transporte noch laufen, alarmieren die ersten in den Briefkästen gelandeten Einladungskarten die Behörden. Weder im Rat des Bezirkes Leipzig, noch im Vorstand des Künstlerverbandes oder in der Bezirksleitung der SED weiß jemand etwas von einem „Ersten Leipziger Herbstsalon“, zu dessen Eröffnung eingeladen wird.
Funktionäre des Künstlerverbandes werden ausgeschickt um zu erkunden, was im Messehaus am Markt vor sich geht. (Abb. 04)
Auf Anweisung der Bezirksleitung der SED erscheint der Direktor des Leipziger Messeamtes und präsentiert den Malern die fristlose Annulierung des Mietvertrags, und einen sofortigen Räumungsbescheid.
Während die Maler den Ausstellungsaufbau unbeirrt fortsetzen, kontaktieren sie daraufhin einen Anwalt. Der setzt einen Antrag auf Annulierung der Mietvertragskündigung auf und bringt ihn zum Gericht. Das amüsiert die Maler: sie gehen vor Gericht, und klagen gegen das Messeamt, also gegen den Staat. Und sie erfahren erstaunt, dass die Gesetze der DDR das zulassen.
Die Maler rufen ihre Freunde an, und bitten um einen Besuch im Messehaus am Markt. Zugleich informieren sie den Künstlerverband, daß sie im Falle einer Räumung mit ihren Bildern und Objekten den Leipziger Markt besetzen und blockieren werden.
Ihrem Aufruf folgen zahlreiche Künstlerkollegen und Unterstützer, die ins Messehaus kommen: aus Karl-Marx-Stadt die Freunde der Clara-Mosch-Gruppe, aus Dresden Maler aus dem Kreis um AR Penck, aus Berlin die Concept- und Mail-Art Künstler Robert Rehfeld und Erhard Monden und die Kunsthistoriker Gabriele Muschter, Christoph Tannert, Eugen Blume und viele, viele Andere. Die Stimmung ist gespannt. Jetzt geht es nicht mehr nur um die Verteidigung von Kunst. (Abb. 07)

Auch der Maler Bernhard Heisig kommt ins Messehaus. Er kommt in seiner Funktion sowohl als einer der Chefs des Künstlerverbandes wie als hoher politischer Funktionär der SED, und überbringt eine Botschaft.
„Die Partei“ bittet uns, nichts Juristisches oder sonstwie Provokatives mehr zu unternehmen. Er sei von der Leipziger SED-Leitung persönlich beauftragt, den Fall in Berlin beim Zentralkommitee der SED vorzutragen, und eine Klärung herbeizuführen. (Abb. 06) In der Diskussion mit ihm wird allerdings deutlich, dass er von der Aktion der Maler und den meisten der in der Ausstellung versammelten Kunstwerke nicht viel hält. Die Maler machen ihm ungeachtet dessen noch einmal ultimativ klar, dass sie es nun darauf ankommen lassen werden. Das soll er auch seinen Berliner Genossen und Vorgesetzten deutlich machen.

Inzwischen kommen erste Anrufe von Journalisten aus Ost- wie Westberlin, die von den Vorgängen in Leipzig erfahren haben. Zudem ist die Ausstellungseröffnung von den Malern strategisch kurz vor die Eröffnung der Internationalen Leipziger Dokumentarfilmwoche gesetzt worden, so dass schon einige Filmemacher und Journalisten in der Stadt sind. Das setzt die Behörden weiter unter Druck. Die Zeit arbeitet nun für die Maler.

Die Maler beginnen das Ausstellungsplakat und den im Siebdruck-verfahren in einer Auflage von 100 Exemplaren hergestellten Ausstellungskatalog zu signieren, für den ihnen der Kunsthistoriker Klaus Werner einen Text geschrieben hat. (Klaus Werner ist der ehemalige Leiter der Ostberliner Galerie Arkade, der wegen einer von ihm geplanten und von Stasi-Zuträgern verpfiffenen deutsch-deutschen Grafikedition fristlos entlassen wurde.)
Während schon die ersten Besucher eintreffen, kehrt Bernhard Heisig abgehetzt aus Berlin zurück und überbringt ein Angebot der SED: die Ausstellung kann stattfinden, muß aber als „Werkstatt“ deklariert werden, pro Tag darf nur eine begrenzte Anzahl Besucher eingelassen werden, West- und Pressekontakte sind untersagt. Die Maler akzeptieren diese Bedingungen, an die sich in den folgenden Tagen und Wochen allerdings niemand halten wird.

Als am 10.November 1984 die Ausstellung wie geplant geöffnet wird, ist im Entreé eines der Storyboards für mein „Herakles Konzept“ zu sehen.
Seit Anfang der 1980er Jahre arbeite ich an einem Werk, sagen wir ruhig: GESAMTKUNSTWERK, mit dem Titel „Herakles-Konzept“. (Abb. 08)
Dabei sehe ich mich als ein Monteur, der Themen, Fotografien, Zeitungsausschnitte und Archivalien unterschiedlichster Art sammelt, bearbeitet und zu einer „Archäologie der Erinnerung“ zusammenfügt. Nach dem Prinzip der Collage bringe ich aber nicht nur unterschiedliche physische Materialien zusammen, sondern auch Mythen, Leitbilder und Ideologien und interessiere mich für mögliche innere Zusammenhänge dieser Dinge miteinander. Das begann zunächst mit Material aus der jüngeren deutschen Geschichte, weitete sich dann aber rasch aus und folgte bald auch den Verbindungen dieser Materialien mit größeren und welthaltigeren Zusammenhängen. Als ich 1982 mit der Arbeit am Herakles-Projekt begann, waren zwei Texte für mich entscheidend: zum einen das Märchen der Gebrüder Grimm „Vom Eigensinnigen Kind“ und der Text des DDR-Dramatikers Heiner Müller „Herakles 2 oder die Hydra“. Im Grimmschen Märchen erscheint Eigensinn als eine anarchische Kraft des Individuums, eine notwendige Fähigkeit, um sich gegen die gesellschaftlichen Zurichtungen zu wehren, für die das Kind jedoch mit dem Tod bestraft wird. In Müllers Text ist Herakles, der antike Halbgott und klassische starke der Held, zugleich Sieger und Besiegter. Und er erkennt: er selbst, Herakles, ist Teil des Systems, das er bekämpfen will und soll, und sogar notwendig für dessen immer besseres Funktionieren. Was soll er tun? Welche Strategien sind möglich, um ein so intelligentes System zu bekämpfen?

In der Ausstellung selbst, hier die Arbeiten des Malers Hans Hendrick Grimmling, ist die von den Malern geforderte Regulierung des Besucherstroms bald unmöglich. Denn: auf dem Marktplatz vor dem Messehaus beginnt der Weihnachtsmarkt. In der Etage unter dem Herbstsalon ist eine Modellbahnausstellung, und im Kino Capitol, unweit der Ausstellung, beginnt die Internationale Dokumentar- und Kurzfilmwoche.
Das beschert der Ausstellung nicht nur ein interessiertes Kunstpublikum, sondern auch zufällige Besucher des Weihnachtsmarktes und der Modelleisenbahn-Austellung, die sich in den Herbstsalon verirren.
Dort sind die Maler ständig anwesend, und führen mit den Besuchern Gespräche.
Einige der Aussteller haben sich Atelier- und Werkstattecken eingerichtet, im hinteren Teil der Messehausetage wird auch gekocht. Ab und an finden Veranstaltungen von mit den Malern befreundeten Schauspielern, Schriftstellern und Musikern statt. (Abb. 09, 10)
So entsteht eine Gemengelage, in der sich Kunst und andere Sphären entspannt miteinander mischen - eine temporäre Zelle der Normalität.
In knapp vier Wochen besuchen fast zehntausend Menschen die Ausstellung.

Das Beispiel des Herbstsalon verbreitet sich wie ein Lauffeuer nicht nur in Leipzig, sondern in der Kunstszene der ganzen DDR. In Dresden initiieren Studenten der Bühnenbildklasse an der Hochschule für Bildende Künste daraufhin nach dem Vorbild des Leipziger Herbstsalon einen „Frühlingssalon“, aus dem sich dann später die Gruppe der „Auto-Perforationskünstler“ entwickeln wird.
Auch in Leipzig versuchen einige junge Künstler nun ganz offiziell selbstkuratierte und öffentliche Ausstellungen zu organisieren. Das wird von Künstlerverband und Partei zunächst abgelehnt.
Wenig später kommt es aber in einer kleinen Kneipe in der Leipziger Südvorstadt zu einer Versteigerung von Werken der Künstler des Herbstsalons. Mit dem Erlös dieser Versteigerung werden die Räume einer stillgelegten kleinen Fabrik renoviert, in der vorher von der Firm Rohrer & Klinger Lithografietusche hergestellt wurde, und in der nun eine Gruppe junger Leipziger Künstler eine Galerie betreiben will. (Abb. 11)
Die Arbeiten der ersten Ausstellung in dieser Produzentengalerie „Eigen + Art“ kommen vor allem von den „Stiftern“, den Künstlern des Herbstsalons. (Später wird dann aus dieser Produzentengalerie durch ein, damals durchaus umstrittenes, „take over“ von Judy Lybke die heutige Galerie „Eigen + Art“ hervorgehen, die nach der Wende 1989 unter Anleitung von Bankern, westdeutschen Galeristen und dem BDI als Juniorpartner in den internationalen Kunstbetrieb integriert wird, und heute als eines der erfolgreichen Beispiele für den Aufschwung Ost gilt.)

Im Frühjahr 1985 verkündet die Sektorenleiterin für Kultur im ZK der SED, Ursula Ragwitz, flankiert von den Professoren Bernhard Heisig Leipzig), Willi Sitte Halle) und Gerhard Kettner (Dresden) vor den zusammengerufenen Künstlern Leipzigs die zukünftigen kulturpolitischen Vorstellungen der Partei. Dabei wird der „Erste Leipziger Herbstsalon“ als ein Beispiel konterevolutionärer Entwicklung bezeichnet, welches man ein nächstes Mal zu verhindern wisse. Die Partei werde sich nicht noch einmal das Gesetz des Handelns aus der Hand nehmen lassen. Drei der sechs Maler des Herbstsalons verlassen nach einem Ausreiseantrag in den darauffolgenden Monaten die DDR.

All das liegt nun 25 Jahre zurück. Was wir, die Akteure des Herbstsalon, damals wollten, war einfach: „Wir haben uns mit einer bestimmten künstlerischen, gestalterischen und auch politischen Absicht gegen die bestehenden Verhältnisse gewandt. Wir mussten mit Gegenwind rechnen. Das war für uns „good sport“, wie die Engländer sagen.“
Das ist ein Zitat des Theaterregisseurs Peter Stein über seine Probleme am Theater in Zürich, das ihn 1976 vor die Tür setzte, und trifft die Sache, um die es (uns) damals ging, auf den Punkt genau. Eine klassische und wiederkehrende Situation für Künstler also, nichts Besonderes.
Dachte ich zunächst spontan, als ich das Interview mit Peter Stein in der Züricher Zeitung las. Aber halt, stimmt das denn heute noch so? Sind die meisten Künstler, und nicht nur die erfolgreichen, heute nicht ziemlich zufrieden mit dem „was ist“? Interessieren sich Künstler heute noch für „eine Veränderung bestehender Verhältnisse“? Für eine Veränderung, die mehr ist wie nur ästhetische Innovation?

Und so würde ich gern, nach diesem Ausflug in die Historie, wieder den Blick und die Aufmerksamkeit auf Gegenwart und Zukunft richten, auf die Möglichkeiten und Grenzen von Kunst in einer scheinbar unübersichtlicher und komplizierter gewordenen Welt, wo Kunst zum Anhängsel eines zunächst explodieren, nun implodierenden, Kapital- und Geldmarkts geworden ist, und Begriffe wie „Subversive Praktiken“ auch als Logo auf Luxus- und Designermode vorstellbar sind.
Guy Debord, Fluxus und eine Kunst die das Grundrecht einer „Freiheit von Sinn“ in Anspruch nimmt, sind längst marktkompatibel und ihr einst möglicherweise subversives Potential ist schon lange museal stillgelegt. Der Begriff „Subversive Praktiken“ erinnert im Westen also an etwas, was sehr fern und weit zurückzuliegen scheint, an Dinge wie politische Haltung, NEIN-Sagen können, Widerstand. Die Frage ist nur: gegen wen geht es? Und wofür soll gestritten werden?
Der gute alte, noch nicht durchglobalisierte Kapitalismus war ein relativ leichter Gegner. Was ähnlich für die DDR und die anderen Länder des Ostblocks galt: Die Künstler dort sahen sich einem repressiven Staats-apparat gegenüber. Der Feind war sichtbar.
„Zwischen uns und dem Feind einen klaren Trennungsstrich ziehen!“ lautete die Ursprungsparole der RAF. Doch das gelang ihren Protagonisten weder im Leben noch im Tod, denn die Parole barg eine unmögliche Forderung. Jedenfalls dann, wenn der vermeintliche Feind im eigenen Innern saß. Was ist unter solchen, also unter heutigen Bedingungen, „subversiv“, und was ist „systemverstärkend“? Und was ist, wenn „subversive Praktiken“ als „Systemverstärker“ und „Systemverbesserer“ funktionieren und verwendet werden, wie sich heute rückblickend auf Teile der Nachkriegsmoderne des Westens konstatieren läßt? Wie verhalten sich Begriffe wie „subversiv“ und „künstlerische Qualität“ zueinander? Ist „subversiv“, was den Kunstmarkt in Frage stellt oder diesen ganz vermeidet? Oder wird künstlerische Qualität, ob subversiv oder nicht, ausschließlich durch den Erfolg am Kunstmarkt definiert und bestätigt, wie es der Museumsmann Werner Schmalenbach einst für die Kunst des Westens formulierte?
Das sind so einige der Fragen, die mir durch den Kopf gingen, als ich im Archiv nach Material suchte, um diesen Vortrag zusammenzustellen. Vielleicht können wir darüber sprechen. Aber zunächst danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Lutz Dammbeck
Stuttgart 31.Mai 2009

Credits

1.Leipziger HERBSTSALON

mit Lutz Dammbeck, Günter Firit, Hans-Hendrick Grimmling, Frieder Heinze, Günter Huniat und Olaf Wegewitz / Ausstellung von Malerei-Grafik-Plastik-Konzept /
vom 10.11. – 7.12.1984 im Leipziger Messehaus am Markt, 1.Etage /
eine MOGOLLON-Produktion

Katalog in einer Auflage von 100 Exemplaren, von allen Künstlern handsigniert
14 Seiten Originalsiebdruck, Seidentransparentpapier, Einband Industriepappe
Einbandgestaltung: Lutz Dammbeck, mit einem Katalogtext „Geduld, dulden, Ungeduld...“ von Dr.Klaus Werner

Ausstellungsplakat in einer Auflage von 150 Exemplaren, Offsetlithografie, handsigniert Gestaltung: Lutz Dammbeck

Filmdokumentation
1.Leipziger HERBSTSALON - Deutschland 1984-2006 – Dokumentation – Regie und Schnitt: Lutz Dammbeck - Kamera: Thomas Plenert - Länge: 220 m (20:00) - Format: 16 mm Umkehrfilm - s/w – stumm – Produktion: Lutz Dammbeck Filmproduktion, Hamburg - Premiere: 2006 - Archiv: Lutz Dammbeck

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