Statement

von Daniel García Andújar, Ivan de La Nuez, Carlos Garaicoa
im Rahmen der Ausstellung „Postcapital. Politics, City, Money”, La Virreina, Barcelona, 2006

Mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zusammenbruch des Kommunismus traten die osteuropäischen Länder in eine Ära ein, die man als „Postkommunismus“ bezeichnet hat. In weniger als zehn Jahren wurde dieser vielschichtige Prozess, der sich an manchen Orten friedvoll, an anderen gewalttätig vollzog, zum Fokus zahlreicher Studien, Programme, Diagnosen, Theorien, Warnungen, Kritiken und Euphorien. Eingeschaltet in die Diskussion haben sich so unterschiedliche Theoretiker wie Ralph Dahrendorf und Slavoj Žižek, Timothy Garton Ash und Grzegorz Ekiert, Vesna Pusić und Tibor Papp, John le Carré und Frederick Jameson, Antonio Negri und Michael Hardt …

Unter dem Deckmantel von Notfallmaßnahmen – einer postmodernen, jedoch kleinlicheren Variante des Marshall-Plans – legte der Westen eine Reihe von ökonomischen und politischen Regularien fest, mit denen die freie Marktwirtschaft in den ehemals kommunistischen Gebieten etabliert werden sollte. Ob in Form von Schocktherapien, wie in Russland, oder mit Hilfe moderater Programme, ging es darum, diese Länder nach den Maßgaben der liberalen Demokratie und durch die Neugestaltung ihrer internationalen Beziehungen (durch IWF, Europäische Union, NATO etc.) in den Kapitalismus zu führen.

Knapp zwei Jahrzehnte später wird deutlich, dass – trotz aller Theorien vom Ende der Geschichte, die eine entspannte und zugleich langweilige Ewigkeit des Kapitalismus prophezeiten – der Westen eine Veränderung durchläuft, dessen Ausmaße man gerade erst zu begreifen beginnt. Sowohl seitens der Linken als auch der Rechten – von Robert Kaplan bis zum vorletzten Recycling Francis Fukuyamas, von Ulrich Beck bis Oskar Lafontaine –  wurde erkannt, dass der Glaube an das sichere Fundament, auf dem die Weltordnung aufruhe, zutiefst erschüttert ist. Der Westen wird gewahr, dass sich der Liberalismus mit dem Wegfall seines ehemaligen Tanzpartners (des Sozialismus) zunehmend orthodox und immer weniger demokratisch verhält.

Die alte Patt-Situation zwischen Ost und West hat den Weg geebnet für die Konfrontation zwischen der westlichen und arabischen Welt, zwischen Christentum und Islam, Demokratie und Terrorismus. All dies hat zu einer neuen geopolitischen Landkarte geführt, deren Beginn sich mit den Attacken des 11. Septembers 2001 in den USA in Zusammenhang bringen ließe.

Verkürzt gesagt: Die Berliner Mauer stürzte auch in den Westen. Und einst geheiligte Begriffe wie „Solidarität“ oder „Transparenz“, die im Zuge der Demontage von Regierungen und Grenzen früherer kommunistischer Imperien noch eine zentrale Rolle spielten, wurden zwischen den Trümmern der alten und den Fundamenten der neuen Mauern globaler Politiken begraben. Diese Situation nennen wir „Postkapitalismus“.


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