Yvonne P. Doderer (Stuttgart)

Männlich, heroisch, kriegerisch. Homo-/sexuelles Begehren und Kolonialismus
Montag, 23. November 2009, 19 Uhr

In den aktuellen Diskursen über europäischen Kolonialismus und koloniale Vergangenheit – sofern sie denn, insbesondere in Deutschland, überhaupt geführt werden – ist die Frage nach sexuellen und vor allem homosexuellen Begehren der Kolonisatoren meist kein Thema. Viele WissenschaftlerInnen wie der US-amerikanische Literaturtheoretiker Edward Said, einer der Wegbereiter der Postcolonial Studies, klammern in ihren Untersuchungen des Kolonalismus und „Orientalismus“ diese Fragestellung häufig aus bzw. stellen sie nur im Zusammenhang mit Heterosexualität. Doch auch wenn sich die (wissenschaftliche) Rekonstruktion von Homosexualität, Homoerotik und Homosozialität auf Seiten der »Entdecker fremder Länder«, militärischen Eroberer und Kolonialherren als nicht immer einfach erweist, ist sie ein wesentlicher Teil europäischer Kolonial- und Sexualgeschichte. Auch die den imperialen Kolonialismus legitimierenden und maskierenden Narrationen waren nicht nur von Exotismus, Kulturalismus und Rassismus geprägt, sondern waren oft auch sexuell konnotiert. Auf den „Anderen/Fremden/Wilden“ wurden vor allem jene homo-/sexuellen Begehrlichkeiten projiziert, die sich in den »Heimatländern« und innerhalb deren puritanisch-normativen Geschlechterordnungen nur eingeschränkt thematisieren und realisieren ließen. Die Kolonien hingegen fungierten - in der Imagination, aber auch in der Praxis -, als sexuell befreite Territorien, als eine Art homo-/sexuelles Eden, als Räume physischer und psychischer Entgrenzung. Die koloniale Aneignung des „Anderen“ war doppelbödig und ambivalent: auf der einen Seite wurden die Kolonisierten als sexuell-erotische Wesen aus der Sicht westlich-weißer Männlichkeitsvorstellungen und homo-/sexueller Begehrensstrukturen konstituiert und exotisiert, auf der anderen Seite war Homo-/Sexualität Teil kolonialer Unterwerfung, Ausbeutung und Machtausübung. Zu fragen bleibt auch, inwieweit sich sexualisierte Formen der Aneignung der „Anderen“ bis heute, wenn auch modifiziert und modernisiert, fortsetzen und wie transkulturelle Queerness in Zeiten von Post- und Neokolonialismus definiert werden könnte.

Dr. Yvonne P. Doderer ist ProfessorIn für Geschlecht in Medien und Design an der FH Düsseldorf, freie ArchitektIn/StadtforscherIn und betreibt das "Büro für transdisziplinäre Forschung und Kulturproduktion" in Stuttgart. Neben Ausstellungsbeteiligungen, Workshops und Vorträgen im internationalen Kunstbetrieb lehrte sie an verschiedenen Hochschulen u.a. am Visual Arts Program des Massachusetts Institute of Technology (MIT) Cambridge/USA. Ihre Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte liegen an den Schnittstellen von Geschlechter-, Kultur- und Raumforschung, Gegenwartskunst und Wissensproduktion.

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