Bani Abidi, Reserved, 2006 (Filmstill)
Anna K. E., Cultural Catalyst that drives the popular dialogue globally, 2012 (Filmstill)
Jan-Peter E. R. Sonntag, sundogs // Nebensonnen, 2011 (Filmstill)
Mobile Academy (Hannah Hurtzig / Chris Kondek), Joseph Vogl: Über das Zaudern, 2008

Vom Zaudern.

Motive des Aufschubs, Übergangs und Abschweifens

EINFÜHRUNG

Das Zaudern ist ein intellektuelles Perpetuum Mobile, eine zum Erliegen gekommene Junggesellenmaschine.
(Agentur Bilwet)

Zögern, Stocken, Unterbrechen, Innehalten, auf der Stelle Treten, Unentschiedenheit, Richtungslosigkeit: All dies sind Momente und Zustände des Zauderns, die in einer durchökonomisierten Welt als störend, wenn nicht gar als bedrohlich empfunden werden. Sie blockieren, so glaubt man, die Handlungsfähigkeit, den reibungslosen Ablauf der Dinge und somit Produktivität und Wachstum.

Der Philosoph und Literaturwissenschaftler Joseph Vogl dagegen begreift das Zaudern nicht als eine Aufhebung sondern als „Schatten des Handelns“, als einen „Ereignisrückstand im Ereignis“. An dieser Schwelle zwischen Handeln und Nichthandeln macht er einen Zwischenraum der reinen „schöpferischen Potenz und Kontingenz“ aus. Zaudern ist in diesem Sinne etwas, das sich an Fugen, Schwellen und Scharnieren, an Gabelungen, Abzweigungen und an den Abzweigungen von Abzweigungen ansiedelt – dort, wo alles möglich ist und alles in Frage steht. Zugleich verweist Vogl auf die Widerständigkeit, die dem Zaudern innewohnt. Denn es wendet sich „gegen die Unwiderruflichkeit von Urteilen, gegen die Endgültigkeit von Lösungen, gegen die Bestimmtheit von Konsequenzen … und das Gewicht von Resultaten … Das Zaudern hegt einen Komplexitätsverdacht; es folgt einer Arithmetik, die vom Hundertsten ins Tausendste geht“ (Joseph Vogl, Über das Zaudern, 2008, S. 108).

In den Künsten sind Motive des Zauderns scheinbar allgegenwärtig: Von Hamlets Zweifel an Sein und Nicht-Sein, über jenes „Birnli“ der Brüder Grimm, das einfach nicht vom Baum fallen will, bis zu Bartleby, dem Schreiber, der immerzu „lieber nicht möchte“.

In der Kunst und insbesondere der zeitgenössischen Kunst ist das Zaudern aber nicht nur als Motiv sondern auch als ästhetische Methode und Struktur zu finden. So zum Beispiel im Film als sogenannte „tote Zeit“ (temps mort), das heißt als jener von Michelangelo Antonioni eingeführte leere Moment und Schwebezustand, an dem die Geschichte nicht weitergehen will, oder in der Videokunst als Loop, der Anfang und Ende der Erzählung beständig aufschiebt.

KünstlerInnen arbeiten überdies mit weit verzweigten Referenzsystemen, die „vom Hundertsten ins Tausendste“ führen, sowie mit Methoden der Wiederholung, Verschiebung und Permutation. Sie produzieren multiple Lesweisen und setzen die BetrachterInnen immer wieder Situationen der Unentscheidbarkeit, des „sowohl als auch“ aus. Es geht um das Abschweifen anstelle von Zielstrebigkeit, um das Unerwartete anstelle des Kalkulierbaren, um das Mehrdeutige anstelle von Eindeutigkeit.

Labyrinth und Schwelle, Verästelungen und Schlaufen, das sich Verzetteln und auf der Stelle Treten scheinen die ineinander verschränkten Pole des Zauderns zu sein. Die Ausstellung Vom Zaudern, die vom 25. Mai bis zum 4. August 2013 im Württembergischen Kunstverein zu sehen ist, setzt an diesen beiden Polen an. Sie greift das Zaudern weniger als Thema denn als Methode der zeitgenössischen Kunst auf und untersucht es entlang der Motive von Aufschub und Übergang, Ab- und Umherschweifen.


Referenzen (Auswahl)

Agentur Bilwet, „Ontologie des Zögerns“, in: Artic. Texte aus der fröhlichen Wissenschaft, Band 7: zaudern, 2000 (http://www.artic-magazin.de)

Jacob Grimm, Wilhelm Grimm, „Das Birnli will nit fallen“, in: Kinder- und Hausmärchen, 1812-1857; in der Ausgabe letzter Hand (1856/57) nicht mehr enthaltene Märchen früher Auflagen.
(http://www.hekaya.de/txt.hx/das-birnli-will-nit-fallen--maerchen--grimm_m_30
(siehe auch: Theodor Fontane, Der Bauer schickt den Jockel aus, München 1988; www.lyrik-lesezeichen.de/gedichte/theodor_fontane.php)

Herman Melville, Bartleby, der Schreiber. Eine Geschichte aus der Wall Street, Frankfurt a. M. und Leipzig 2004 (1853, Originaltitel: Bartleby, the Scrivener: a Story of Wall Street)

Jens E. Sennewald, „Das Birnli will nit fallen. Zaudernder Versuch zur Schrift“, in: Artic. Texte aus der fröhlichen Wissenschaft, Band 7: zaudern, 2000 (http://www.artic-magazin.de)

Joseph Vogl, Über das Zaudern, Berlin 2008 (2007) (siehe auch: www.mobileacademy-berlin.com/deutsch/2008/nachtless01.html)
 

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