Die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden, 2010
30/09/2010, 2010
Noh Suntag, Clockwork Orange / S21, 2010
Kultursäulen 1, 2010
Kultursäulen 2, 2010
Bibliothek, 2010

Die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden

EINFÜHRUNG

Die Ausstellung Die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden, deren Titel auf ein Zitat von Michel Foucault zurückgreift, ist sowohl ein eigenständiges Projekt als auch integriert in die Ausstellung Re-Designing the East. Politisches Design in Asien und Europa.

Die Sektion knüpft an den aktuellen Diskussionen um das Stadtentwicklungs- und Verkehrsprojekt Stuttgart 21 an und erweitert diese vor dem Hintergrund der in den letzten Jahrzehnten erfolgten ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Transformationsprozesse.

Die Sektion wurde von der Architektin und Stadtforscherin Prof. Dr. Yvonne P. Doderer, den KünstlerInnen Stephan Köperl und Sylvia Winkler und den Direktoren des Kunstvereins in einem gemeinsamen Prozess entwickelt. Die Künstler Daniel García Andújar, NOH Suntag und Dan Perjovschi haben existierende oder neu für die Ausstellung entwickelte Werke beigesteuert. Ergänzt wird die Sektion durch das Projekt „Stuttgart 12“, das Studenten der Merzakademie unter der Anleitung von Prof. Peter Ott im Rahmen des Forschungsprojekt ¡remediate! entwickelten.

Hintergründe
Stuttgart 21 ist ein Bahn- und Stadtentwicklungsprojekt, dessen Planung bis in das Jahr 1988 zurückreicht. Kern des Projekts ist die Tieferlegung des bisherigen Stuttgarter Haupt- bzw. Kopfbahnhofs, dessen Ausgestaltung durch einen Architektenwettbewerb im Jahr 1997 entschieden wurde. Auf den freiwerdenden Gleis- bzw. Teilflächen soll ein neuer Stadtteil entstehen. Teile der Flächen sind bereits durch die Landesbank Baden- Württemberg (LBBW) bebaut. Die Stadt Stuttgart hat zudem Teilflächen erworben und errichtet dort momentan eine neue Stadtbibliothek. Ein weiterer Teil des Gesamtprojekts (Baden-Württemberg 21) ist, neben Stuttgart 21, die Neubaustrecke Wendlingen-Ulm, die u.a. eine Anbindung der Bahn an den Stuttgarter Flughafen vorsieht. Das Projekt war seit Beginn umstritten, hinzu kamen mehrjährige Planungsverzögerungen aufgrund ungeklärter Finanzierung und Ablehnung seitens der damaligen Bundesregierung. Ein vom „Aktionsbündnis Bürgerentscheid gegen Stuttgart 21“ (Initiative Leben in Stuttgart, BUND, Grüne, ProBahn, VCD) organisierter Antrag auf einen Bürgerentscheid im Jahr 2007, der mit über 60 000 Stimmen von Stuttgarter BürgerInnen befürwortet wurde, wurde durch den Gemeinderat der Stadt Stuttgart sowie durch das Verwaltungsgericht abgelehnt. Nach der endgültigen Festlegung der Finanzierungszusagen durch die Deutsche Bahn AG, dem Bund, dem Land Baden-Württemberg und der Stadt Stuttgart erfolgte am 2. Februar 2010 der offizielle Baustart von Stuttgart 21. Bis dato waren eine Reihe von Kostensteigerungen erfolgt, die nicht zuletzt dazu beigetragen haben, dass die Proteste gegen dieses Projekt einen deutlichen Aufschwung in Form von regelmäßig stattfindenden Montagsdemonstrationen, Großdemonstrationen sowie Sitzblockaden und vielfältigen weiteren Aktionsformen erhielten. Am 30. September erfolgte dann ein polizeilicher Wasserwerfer- und Pfefferspray-Einsatz im Stuttgarter Schlossgarten im Rahmen einer durch das Ordnungsamt der Stadt Stuttgart genehmigten SchülerInnen Demonstration gegen Stuttgart 21 bei dem über 300 Menschen, teilweise schwer, verletzt wurden. Am 22. Oktober 2010 fand das erste von insgesamt 8. Faktenklärungs- und Schlichtungsgesprächen zwischen Deutsche Bahn AG sowie weiteren Befürwortern und dem Aktionsbündnis gegen S21 unter der Leitung von Heiner Geissler (CDU) im Stuttgarter Rathaus statt. Der Schlichtungsspruch wird am kommenden Dienstag erwartet.
 
Die Ausstellung
Die Ausstellung versteht sich als Archiv, Dokumentation und als künstlerische Gesamtinstallation, die den Spuren des Widerstands gegen das Verkehrs- und Immobilienprojekt „Stuttgart 21“ folgt. Die Ereignisse der letzten Jahre und insbesondere der letzten Monate werden dabei sowohl im Hinblick auf die konkreten Geschehnisse betrachtet, als auch auf deren übergeordnete Aspekte wie GOUVERNEMENTALITÄT, ÖKONOMISIERUNG, STADTENTWICKLUNG, ZIVILGESELLSCHAFT und INFORMATIONSPOLITIK hin befragt. „Die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden“ ist insofern auch eine Fallstudie einen Konflikt betreffend, dessen Verlauf Fragen nach den Transformationen des Öffentlichen (Repräsentative Demokratie versus Partizipation) und dem Stadtraum (Stadt als Konzern versus BürgerInnenstadt) aufwirft.
Gerade die Stadt ist der Raum, in dem sich Definitions- und Handlungsmacht verdichten und verschränken: Wer regiert die Stadt auf welchen Grundlagen und auf welche Weisen? Wem gehört die Stadt? Wer hat ein Recht auf Stadt? Wer bestimmt über zukünftige Entwicklungen einer Stadt und wer setzt diese auf welche Weise um? Welche Modernisierungsversprechen sind an diese Zukunftsentwürfe geknüpft? Mit welchen Darstellungen werden diese Entwürfe vermittelt? Die Ausstellung "Die Kunst, nicht dermaßen regiert zu werden" beleuchtet auf der Folie von „Stuttgart 21“ in Ausschnitten und schlaglichtartig diese Fragen.

Das Archiv
Basierend auf einer umfangreichen Datenrecherche wird den BesucherInnen der Ausstellung ein analoges  Archiv in Ordner zur Verfügungen gestellt, das grundlegende theoretische Texte und eine Auswahl von Materialien zusammenführt, die in direktem Zusammenhang mit „Stuttgart 21“ stehen. Ergänzt wird dieses Archiv durch eine digitale Datensammlung, die die Besucher vor Ort kopieren können.

Die Vitrinen
In fünf Vitrinen wird eine Auswahl von Materialien (Flyer, Werbebroschüren etc.) gezeigt, die das Projekt über die letzten 15 Jahre begleiteten.

Die Timeline
Die Timeline ist eine tabellarische Auflistung, die den Versuch unternimmt, sämtliche Planungsschritte, Kommunikationsformen und Handlungsabläufe in eine chronologische Ordnung zu stellen. Hier zeichnet sich ein deutlich anderes Bild des Widerstands ab, als das der kurzweiligen Reaktion auf symbolische Akte. Er war ebenso kontinuierlich präsent, wie die Planungsgeschichte zu „Stuttgart 21“ lang ist.

Die Gesamtinstallation
Die Gesamtinstallation fügt die unterschiedlichen Zugänge zu den Fragen nach der Gouvernementalität, Ökonomisierung, Stadtentwicklung, Zivilgesellschaft und Informationspolitik in einer Text-Bildcollage zusammen. Dabei bilden der Text die diskursive und die Bilder die narrative Ebene ab. Die Referenzsysteme zwischen textlicher Abstraktion und bildnerischer Repräsentation werden durch grafische Elemente ergänzt, die mittels Diagrammen (Lobbyismus) und Statistiken ein weiteres Bezugssystem zwischen die Bild-, Textmontagen streuen. Sie weisen zurück in das Verweissystem zwischen Text, Bild und grafischer Nachrichtenaufbereitung, das sich im Konkreten (fotografische Dokumentationen der Aktionen auf der Straße), in den Clusterbildungen zwischen der Politik und der Immobilienwirtschaft (Bild-, Texttableaus auf der Basis von Internetrecherchen), den bildgebenden Verfahren des digitalen Zeitalters (Computergenerierte Animationen) und seinen falschen Versprechen („Silizium spricht mit Silizium“ F. Kittler) bewegt. Die „Nachrichtenlage“, die sich aus dieser Konstellation ablesen lässt, ist bewusst nicht ergebnisorientiert, sondern das Protokoll eines Erkenntnisinteresses.

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