Website der "Archivo F.X." (http://fxysudoble.com)
Thesaurus "Die uneingestehbare Gemeinschaft" (Detail; insgesamt 25 Akten)
Archivo F.X., Ausstellungsansicht, Fundació Antoni Tàpies, Barcelona, 2006
Archivo F.X., Ausstellungsansicht, Fundación Botin, Santander, 2010
Archivo F.X., Ausstellungsansicht, Fundación Botin, Santander, 2010
Documents
La Critique Sociale
Marcel Maus

ARCHIVO F.X. / Pedro G. Romero

ENTRADAS (EINTRÄGE / ZUGÄNGE)
(siehe auch: http://fxysudoble.com)

Das von Romero 1999 begonnene Archivo F.X. basiert auf einer sich ständig erweiternden Sammlung unterschiedlicher Materialien – Fotos, Texte, audiovisuelle Dokumente – zum antiklerikalen Ikonoklasmus in Spanien. Die Dokumente stammen aus den Jahren 1845 bis 1945, wobei der Schwerpunkt auf den 1930er-Jahren (Zweite Republik und Spanischer Bürgerkrieg) liegt. Sie zeigen zerstörte Skulpturen und Altäre, Kirchen, die enteignet, geplündert oder umgenutzt wurden, die man Stein für Stein abgetragen oder ausgebrannt hat. Es finden sich Fotos von geraubten liturgischen Gegenständen oder von Christusfiguren, auf denen die Initialen der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaft Spaniens, C.N.T., erscheinen. Hintergrund dieser weitreichenden antiklerikalen Aktivitäten waren die gesellschaftlichen, politischen und ideologischen Konflikte des Landes, die 1936 im Bürgerkrieg kulminierten.

Das Besondere am Archivo F.X. ist sein Klassifizierungsprinzip, das zwei auf den ersten Blick nicht zusammenhängende Kontexte miteinander verknüpft: den politischen, antiklerikalen Ikonoklasmus in Spanien mit Positionen der internationalen Avantgarden in der bildenden Kunst, Literatur, Theorie etc. Das heißt, jedes einzelne Bilddokument zum Bildersturm ist unter dem Namen eines Künstlers, einer Künstlergruppe, Bewegung, Kunstinstitution, -zeitschrift oder eines Werktitels der Avantgarde verzeichnet. So wurde eine Heiligenfigur mit ausgestochenen Augen nach der Künstlerin Hannah Höch benannt. Die Fassade einer 1936 von der katalanischen Stadt Olot enteigneten Kirche wurde wiederum – in Anlehnung an eine Schrift Hugo Balls – mit dem Titel „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“ versehen.

Romero verbindet also radikale Formen der antiklerikalen Bildzerstörung mit ebenso radikalen, auf ihre Weise ikonoklastischen, das heißt gegen die bestehenden Repräsentationssysteme gerichteten Praktiken der Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. Ikonoklasmus begreift er dabei weniger als eine Negation des Bildes bzw. der Kunst, sondern vielmehr als die Bestätigung ihrer symbolischen Funktion.

Auf die genannten Bild-Schlagwort-Kombinationen – die die verschiedenen „Einträge“, das heißt die von Romero so genannten Entradas des Archivo F.X. einleiten – folgen Textfragmente unterschiedlicher Herkunft, die sich abwechselnd auf den im Bild dokumentierten ikonoklastischen Vorfall und den im Schlagwort benannten Autor bzw. Werktitel beziehen. Auf diese Weise entstehen weitere, überraschende und dabei auch widersinnige Assoziationsketten.

Bei den Einträgen bzw. Entradas des Archivo F.X. handelt es sich also um dichte Bild-Text-Gewebe, die je für sich sowie untereinander einen vielschichtigen Prozess der De- und Rekontextualisierung in Gang setzen. Dieser Prozess reicht bis zu den sich immer anders generierenden Aufführungen des Archivo F.X. Denn die Einträge bilden lediglich die Grundlage bzw. „Werkzeugkiste“ (Romero) für die diversen Spielarten des Archivo F.X..

Romeros Projekt geht somit weit über eine bloße Gegenüberstellung von konkreten Beispielen ikonoklastischer Übergriffe und radikalen künstlerischen Praktiken hinaus. Vielmehr nimmt er diese zum Anlass einer weitverzweigten Relektüre politischer, ideologischer und ästhetischer Narrative: in einem Unterfangen, das nach seinen eigenen Worten „irgendwo zwischen Dokumentation und Tanz“ angesiedelt ist.

Bei seinen methodischen Ansätzen – Montage, Parodie, Spiel, die Idee des unabschließbaren Werks und des Archivs als Maschine – bezieht sich Romero explizit auf Figuren wie Walter Benjamin (Passagen-Werk), Aby Warburg (Mnemosyne-Atlas), Georges Bataille (Documents) oder Raymond Roussel.
 
Er selbst bezeichnet sein Projekt (in Anlehnung an Jürgen Habermas) als den Versuch einer „Urbanisierung der Provinz des Nihilismus.“

deueng
suchenImpressum
instagramfacebooktwitteryoutube
Schlossplatz 2
D-70173 Stuttgart
Fon: +49 (0)711 - 22 33 70
Fax: +49 (0)711-22 33 791
zentrale@wkv-stuttgart.de
Württembergischer Kunstverein Stuttgart