ARCHIVO F.X. / Pedro G. Romero

ZUR AUSSTELLUNG

Die Ausstellung im Württembergischen Kunstverein, für die eigens eine komplexe Architektur entwickelt wird, basiert auf einer Auswahl jener Einträge aus dem Archivo F.X., die um ökonomische Fragestellungen kreisen. In einem Setting zwischen Gedächtnistheater, Archiv und imaginärem Museum sollen die Zusammenhänge zwischen Ikonoklasmus, Säkularisierung und Ökonomie ausgelotet werden. Ökonomie wird dabei nicht nur als Austausch von Werten verhandelt, sondern auch im Sinne der grundsätzlichen Aufteilung der Dinge in der Welt.

Ausgangspunkt sind drei Thesauren des Archivo F.X., die jeweils eine Auswahl der Einträge unter einem bestimmten Aspekt zusammenfassen.

Thesauren

El capital... (Das Kapital...)
Wandlung

Tesauro: Capital de la república [Thesaurus: Kapital(e) der Republik] (30 Einträge)
Der 30 Einträge umfassende Thesaurus Kapital(e) der Republik verhandelt den spanischen Ikonoklasmus der 1930er Jahre im Kontext verschiedener Theorien zur politischen Ökonomie. Hier trifft z.B. der 1938 von den spanischen Anarchisten produzierte Film Nuestro Culpable (Unsere Schuldigen; R: Fernando Mignoni) auf das Kapitel Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis aus Karl Marx’ Schrift Das Kapital sowie auf Sergej Eisensteins unrealisiertes Vorhaben der Verfilmung dieser Schrift. In Nuestro Culpable geht es u.a. um eine Kette von Käufen/Verkäufen einer Heiligenfigur - bzw. in der Lesweise Romeros, um deren Gebrauchs- und Tauschwert.

Ein weiterer Eintrag betrifft eine Serie von Fotos, die die Transformation von Kirchenglocken in Waffen dokumentiert. Sie wird mit jener Aktion von Joseph Beuys verknüpft, bei der er auf der Documenta 7 eine Replik der Krone des Zaren Iwan der Schreckliche in einen Friedenshasen verwandelte.

Thesaurus "Die uneingestehbare Gemeinschaft" (Detail), Ausstellungsansicht, Fundación Botin, Santander, 2010
Notice to Guests

Tesauro: La comunidad inconfesable (Thesaurus: Die uneingestehbare Gemeinschaft) (25 Einträge)
Der (nach einer Schrift Maurice Blanchots benannte) Thesaurus Die uneingestehbare Gemeinschaft umfasst 24 Einträge zu diversen Banknoten, die während des spanischen Bürgerkriegs von katalanischen Institutionen in Umlauf gebracht wurden, um die Umbenennung von Ortschaften zu verbreiten, deren ursprünglicher Name religiös konnotiert war. Diese Banknoten werden im Kontext zahlreicher künstlerischer Arbeiten und Interventionen – von André Breton bis Chris Burden, von Marcel Duchamp bis Andy Warhol, von Cildo Meireles bis Jeon Joo Ho – verhandelt, die sich auf Zahlungsmittel und Zahlungsverkehr beziehen.

Darüber hinaus ist ein Eintrag der – unter dem Titel „Anti-Globalisierung“ verschlagworteten – spanischen Münze gewidmet, aus der nachträglich das Wort „katholisch“ ausgekratzt wurde.

Zur Kritik der deutschen Intelligenz

Tesauro: Lo viejo y lo nuevo (Thesaurus: Das Alte und das Neue) (35 Einträge)
Der 35 Einträge umfassende Thesaurus Das Alte und das Neue verschränkt wiederum ikonoklastische Übergriffe, die sich in der katalanischen Stadt Olot ereigneten, mit den Namen bzw. Werken deutschsprachiger KünstlerInnen und Intellektueller aus dem katholischen Süden, wie etwa Hugo Ball, Alfred Kubin, Gerhard Rühm, Gustav Metzger, Peter Sloterdijk oder Thomas Bernhard. So wird zum Beispiel auf Balls Schrift Zur Kritik der deutschen Intelligenz (1919) verwiesen, in der Ball mit dem Kanon deutscher Geistesgrößen von Luther bis Hegel abrechnet und diesen durch einen eigenen Kanon ersetzt, an dessen Beginn Thomas Müntzer steht. 

Dada, Joseph Beuys, Alexander Kluge // Salon d’Or, White Cube, Black Box

Entwurf Raumplan

Einen besonderen Dialog stellt die Ausstellung zu den KünstlerInnen Hugo Ball und Emmy Hennings, Joseph Beuys und Alexander Kluge her, für deren Werke eigens drei Räume gestaltet werden. Die jeweilige Gestaltung folgt dem Modell des „Salon d’Or“ (Ball / Hennings), des „White Cube“ (Beuys) und der „Black Box“ (Kluge). Dabei handelt es sich allerdings um drei nur in Ausschnitten vorhandene Räume, die über den realen Ausstellungsraum hinausweisen, das heißt als imaginäre Räume fortgesetzt werden.
An die Ränder des Ausstellungsraums gerückt, geben sie dessen Zentrum frei, das wiederum in eine Backstage-Situation verkehrt wird, in der die verschiedenen Materialien – Objekte, Bücher, Bilder, Installationen etc. – des Archivo F.X. zu finden sind.

Salon d’Or
Dada, Ostergelächter, Hugo Ball, Emmy Hennings & Cabaret Voltaire

Das Werk der KünstlerInnen Emmy Hennings und Hugo Ball wird meist in Bezug auf ihre Rolle innerhalb von DADA und als GründerInnen des Cabaret Voltaire 1916 in Zürich betrachtet. Doch diese Aktivitäten waren auf wenige Monate beschränkt. Ihre eigene Sicht auf diese exzessiven Monate ist kaum je berücksichtigt worden. Die Präsentation unternimmt daher den Versuch, Hennings und Balls Sichtweise auf diese Ereignisse zu rekonstruieren. Gezeigt werden u.a. Dokumentationen zu ihren Auftritten im Cabaret Voltaire, eine Interpretation von Balls Totenklage, die 1978 von der Stuttgarter Gruppe EXVOCO (Hanna Aurbacher, Theophil Maier, Ewald Liska) produziert wurde, zahlreiche Erstausgaben ihrer Schriften von den 1910er bis 1950er Jahren sowie Memorabilien wie die Totenmaske von Hugo Ball.

White Cube
Joseph Beuys, La riproduzione siamo Noi (Die Reproduktion sind Wir), Aktionen, Editionen, Multiples

Neben Dokumentationen zu Joseph Beuys’ Aktion Wandlung auf der Documenta 7 (1982), bei der er die Kopie einer Zarenkrone in einen Friedenshasen verwandelte, sowie zu dessen heutiger Präsentation in der Staatsgalerie Stuttgart,  werden verschiedene Editionen und Multiples des Künstlers gezeigt, die in hoher Auflage produziert wurden. Romero interessiert es dabei, den Blick auf den häufig unterschlagenen Witz im Beuysschen Werk zu schärfen.

Alexander Kluge, Nachrichten aus der ideologischen Antike, Still

Black Box
Alexander Kluge, Nachrichten aus der ideologischen Antike, Marx – Eisenstein – Das Kapital

Schließlich präsentiert die Ausstellung Alexander Kluges fast zehnstündigen Film Nachrichten aus der ideologischen Antike. Dieser Film setzt an Sergej Eisensteins (nicht realisiertem) Projekt der Verfilmung von Das Kapital (nach dem literarischen Modell von James Joyces Ulysses) an. In einem dichten Geflecht aus Gesprächen, Schriftbildern, Spielszenen, Filmausschnitten, Dokumenten, Musikstücken und mehr kreist der Film aus unterschiedlichen Perspektiven um die heutigen Nähen und Fernen zu Marx – er bringt Marx als einen „Scout“ ins Spiel, „der uns durch die hochkomplexe Welt und zurück in die Antike leiten kann“ (Kluge).

Theatralisierungen (Auswahl)

Zwischen dem Ausstellungszentrum / -backstage und den drei real-imaginären Räumen verlaufen verschiedene Bezugsachsen. Schnittstellen sind dabei unter anderem eine Reihe von theatralen Anordnungen, die Romero zu einzelnen Einträgen und Thesauren des Archivo F.X. produziert hat.

Entrada: Ball / Hennings

Entrada: Hugo Ball / Entrada: Emmy Hennings
Die Theatralisierungen zu den Einträgen Entrada: Hugo Ball und Entrada: Emmy Hennings, die im Rahmen der Ausstellung neu entstanden sind, bestehen aus zwei Musikstücken. Hierfür wurde Balls Gedicht Die Karawane dem Flamencosänger Tomás de Perrate, und Hennings Gedicht Morfin der Flamencosängerin Inés Bacán zur Interpretation vorgelegt.

El Capital… (Das Kapital…), Ausstellungsansicht, Tapiès Foundation, Barcelona, 2006
Nuestro Culpable

Entrada: El capital. El carácter fetichista de la mercancía y su secreto (Eintrag: Das Kapital. Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis)
Die Installation zum Eintrag El Capital … besteht aus der Monitorpräsentation eines Ausschnitts des Films Nuestro Culpable, bei der ein Drucker live während des gesamten Ausstellungszeitraums jedes einzelne Filmbild der gesamten Sequenz ausdruckt. So wird eine ständig anwachsende Akkumulation von Papierstößen generiert, deren wachsendes Gewicht von einer Waage angezeigt wird.

Tesauro Olot

Tesauro: Olot // Tesauro: Bataille
Die Theatralisierungen der Thesauren Olot und Bataille bestehen jeweils aus einer Sammlung von Bildern, die in Holzkonstruktionen untergebracht sind und auf Museumsdepots anspielen. Die BesucherInnen können die in den Konstruktionen eingelagerten Bilder nach Wunsch herausziehen. Das Bilderlager des Thesaurus Tesauro: Bataille bildet dabei eine Miniatur des Bilderlagers des Thesaurus Tesauro: Olot ab.

Wandlung, Installation, Ausstellungsansicht Tapiès Foundation, Barcelona, 2006
Wandlung, Installation (Detail), Ausstellungsansicht Tapiès Foundation, Barcelona, 2006

Entrada: Wandlung
Die Theatralisierung zu Entrada: Wandlung lädt zu einem Würfelspiel ein. Die sechs Seiten der Würfel zeigen allerdings keine Zahlenwerte an. Stattdessen enthalten sie Bilder vom Arbeitsprozess der Einschmelzung von Kirchenglocken und deren Transformation in Waffen. Die Ordnung der industriellen Abläufe dieser Arbeitsprozesse wird dabei immer wieder neu und zufällig konfiguriert.

Georges Bataille
Vorlage für Münzprägemaschine

Entrada: Georges Bataille
Entrada: Georges Bataille verknüpft den Namen des französischen Schriftstellers und Philosophen mit dem Bildnis der Jungfrau de la Esperanza von Macarena (Sevilla). Diese wurde 1936 in einer Transportkiste der Banco Español vor den Anarchisten in Sicherheit gebracht. Die für die Ausstellung neu entstandene Installation zu diesem Eintrag  besteht in einer Münzprägemaschine, die Fünf-Cent-Stücke in Bildnisse der Heiligen verwandelt.

(SIC) Suite Improvisée Conseilliste

Entrada: (SIC) Suite Improvisée Conseilliste
Entrada: (SIC) Suite Improvisée Conseilliste setzt an einem Vorfall an, bei dem Volksmilizen 1936 in Cartagena eine Feierlichkeit zur Karwoche störten, indem sie die Internationale sangen. Dieser Vorfall wird verbunden mit einer Jam-Session, der Suite Improvisée Conseilliste, zwischen dem algerischen Aktivisten (und Mitglied der Situationistischen Internationale) Mustapha Khayati und dem Jazztrio Françoise Tusques. Das Video zu diesem Eintrag zeigt ein Konzert, bei dem ein Chor, der die Internationale singt, und ein Trio, das die Suite Improvisée Conseilliste spielt, in Konkurrenz miteinander treten.

Bibliothek / Mediathek

Die Bibliothek bzw. Mediathek der Ausstellung zeigt eine Auswahl von Propagandafilmen und -publikationen der 1930er-Jahre. Sie entstammen den Propagandaabteilungen sowohl der Anarchisten als auch Faschisten in Spanien als auch der mit Diktator Franco kollaborierenden Nationalsozialisten in Deutschland. Sie alle setzen auf ihre Art und Weise Bilder des antiklerikalen Ikonoklasmus ein, um die Gegenseite zu diffamieren. So zeigt der von den spanischen Nationalisten produzierte Film Vía Crucis del Señor en las tierras de España (Kreuzweg des Herrn auf spanischem Boden) von 1940 eine höchst pathetische Inszenierung der Zerstörung von Kirchen, Heiligenstatuten und dergleichen durch den „roten Mob“. Der Film trägt dabei starke Züge der ästhetischen Sprache Luis Buñuels, mit dem der Filmemacher in anderen Kontexten zusammengearbeitet hatte.

Blasfemias (Gotteslästerungen)

Die fünfteilige Serie Blasfemias (Gotteslästerungen), von der drei Objekte im Rahmen der Ausstellung neu entstanden sind, verbindet spanische gotteslästerliche Flüche mit der Literatur der Avantgarde. Auf fünf Tafeln erscheinen Sammlungen von Flüchen, die Zitaten von Schriftstellern wie Hans Magnus Enzensberger oder Paul Celan gegenüberstehen. Eine Tafel vereint dabei die Lautpoesie diverser Schriftsteller – darunter Christian Schad, Tristan Tzara oder Man Ray – mit ambivalenten blasphemischen Wortspielen: einem Spiel um das Unaussprechliche. Alle Tafeln weisen ein Leerfeld auf, auf das Fotos und Videosequenzen aus den Nachrichten projiziert werden.

Dokument und Materialien, Nr. 7

Im Rahmen der Ausstellung wurde die siebte Ausgabe der Heftreihe Archivo F.X., Dokumente und Materialien herausgegeben. Sie umfasst Bilder aus verschiedenen Einträgen des Archivo F.X. sowie Texte und Interviews von bzw. mit Pedro G. Romero, Valentín Roma, Georges Didi-Huberman, Alexander Kluge und Hugo Ball. Die Texte sind nur teilweise im Heft abgedruckt. Die Fortsetzungen kann man jeweils auf der Website des Archivo F.X. lesen bzw. herunterladen. Eine Linkangabe sowie ein QR-Code leiten zur entsprechenden Stelle.
Zudem wurde, wie bei jeder Ausgabe der Heftreihe, eigens eine Grafik entwickelt, die die Struktur der neuen Ausgabe visualisiert: Hier unter anderem in Bezugnahme auf die Frontlinie der französisch-deutschen Kämpfe während des Ersten Weltkriegs. Die Grafik ist auch in der Ausstellung zu sehen, wo das Heft kostenlos verteilt wird.

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