Die Bestie und ist der Souverän

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EINFÜHRUNG

"Die Bestie und [et] der Souverän, die Bestie ist [est] der Souverän, so würde sich unser Paar ankuündigen, ein Paar, ein Duo, ein Duell gar, aber auch ein Bund, fast eine Vermählung …“ Jacques Derrida

Die Ausstellung "Die Bestie und ist der Souverän", die vom 17. Oktober 2015 bis zum 17. Januar 2016 im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart zu sehen ist, beschäftigt sich mit den Konstruktionen des politischen Souveräns in den westlichen Denktraditionen. Im Vordergrund stehen dabei künstlerische Praktiken, die Souveränität – wie sie in den Konzepten des Heiligen, des Nationalstaats, moderner Institutionen, des Humanismus, von Männlichkeit oder dem unversehrten, (hetero)normativen Körper zum Tragen kommen – infrage stellen, umkehren oder auflösen.

Der Titel der Ausstellung geht auf das letzte Seminar des französischen Philosophen Jacques Derrida (2002–2003) zurück (1). Für Derrida versinnbildlichen die Bestie und der Souverän zwei entgegengesetzte Figuren des Politischen, die beide außerhalb des Gesetzes verortet sind: Das Tier bzw. die Bestie, die das Gesetz nicht kennt, und der Souverän, dessen Macht sich durch die Befugnis auszeichnet, das Gesetz aufheben zu können.

Die Ausstellung setzt an den binären Herrschaftsverhältnissen an, die sich aus diesem eigentümlichen Paar – "ein Duo, ein Duell gar" (Derrida) – ableiten lassen: Auf der einen Seite die Bestie, die für Animalität, Natur, Weiblichkeit, Knechtschaft, das nichtweiße Subjekt, Kolonie, Krankheit, das Abnorme et cetera steht. Auf der anderen Seite der Souverän, der das Menschliche und Übermenschliche, Gott, den Staat, Männlichkeit, das weiße, körperlich wie sexuell "normale" Subjekt verkörpert.

Die Figur der Bestie wirkt in dieser Ordnung nicht nur als Gegenpart des Souveräns, sondern haftet diesem auch wie ein Tanzpartner an. Die Bestie ist auch der Souverän, wie Derrida in einem Sprachspiel zwischen dem französischen et (und) und est (ist) hervorhebt. Sind unsere Mythen – von den Fabeln bis zur Science-Fiction, von den Sirenen bis zum Werwolf – nicht voller Hybriden und Zwitterwesen zwischen Mensch und Tier? Und hat nicht ein Übermaß an Machtkonzentration immer schon zu bestialischem Machtmissbrauch geführt? Dem Menschen sei der Mensch ein Wolf, heißt es seit Plautus.

Die Ausstellung fokussiert künstlerische Praktiken, die die bestehenden Konzepte und Wirkungsmächte des Souveräns befragen und zurückweisen. Dabei stehen vier Aspekte im Vordergrund, in und zwischen denen sich die KünstlerInnen bewegen:

– Das Heilige und der unangemessene Gebrauch des Heiligen
Ökonomien der Schuld und alternative Ökonomien
Dissidente Körper: Wider die Ordnungen von Spezie, Geschlecht, Sexualität, Normativität, Unversehrtheit …
Moderne Institutionen in der Krise, Kritik, Auflösung und Neubestimmung

Die Ausstellung basiert auf einer Kooperation zwischen dem Württembergischen Kunstverein Stuttgart und dem Museu d’Art Contemporani de Barcelona (MACBA).
Sie wurde kuratiert von Hans D. Christ und Iris Dressler, DirektorInnen des Württembergischen Kunstvereins, Paul B. Preciado, Kurator des Public Programs der Documenta 14, sowie Valentín Roma, ehemaliger Chefkurator des MACBA.

Die Ausstellung wird von einem Veranstaltungsprogramm begleitet, das unter anderem eine Konferenz (16.-18. Oktober 2015) sowie eine Performancereihe (Januar und April 2016) umfasst. Eine abschließende umfangreiche Publikation ist für 2016 geplant.

Der Konflikt
Bei der Premiere der Ausstellung Die Bestie und der Souverän im März diesen Jahres in Barcelona ist es zu einem Eklat gekommen. Kurz vor Eröffnung entschied der damalige Direktor des MACBA, Bartomeu Marí, dass eines der Kunstwerke nicht angemessen für eine Präsentation in diesem Museum sei und forderte dessen Entfernung. Es handelte sich um eine Skulptur der österreichischen Künstlerin Ines Doujak, die Teil eines langjährigen Projektes zu Fragen der (neo)kolonialen Kontexte der Textilproduktion ist. Neben zahlreichen anderen Referenzen, lässt sich die Skulptur, die zuvor auf der São Paulo-Biennale zu sehen war, auch als eine Karikatur des spanischen Ex-Königs lesen. Weder die KuratorInnen noch die KünstlerInnen der Ausstellung waren bereit, diesen Akt der Zensur stillschweigend hinzunehmen. Daraufhin sagte Marí die gesamte Ausstellung am Tag der geplanten Eröffnung ab. Nach einer lokalen wie internationalen Protestwelle wurde sie vier Tage später schließlich doch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Marí trat zurück. Die beiden Kuratoren des MACBA, Valentín Roma und Paul B. Preciado, wurden fristlos entlassen.
Die Erfahrungen im MACBA haben eine Reihe von Fragen aufgeworfen, die wir im Rahmen einer Konferenz diskutieren möchten, die über diesen konkreten Fall hinausgeht und dabei auch an die Themenfelder der Ausstellung, die ja unter anderem die Funktionsweisen moderner Institutionen fokussiert, anknüpft ....
Programm, Abstracts, Doku und Resultate der Konferenz

A U S Z E I C H N U N G E N
Ausstellung des Jahres 2015 AICA, Deutsche Sektion
Ausstellungshighlight 2015 Ana Teixeira Pinto, Frieze d/e
Wichtigste Ausstellung des Jahres 2015 Kolja Reichert, Art Kunstmagazin


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1: Der originale französische Titel des Seminars und der dazu veröffentlichten Publikation lautet La bête et le souverain. Die Herausgeber der ersten deutschen Übersetzung dieser Publikation, die 2015 erschienen ist, haben la bête mit ‚das Tier’ statt mit ‚die Bestie’ übersetzt. Da es uns aber – wie auch Derrida – ganz entscheidend um die sexuelle Differenz dieses Paares geht, ziehen wir den Titel Die Bestie und der Souverän vor. Nach den Vorfällen in Barcelona entschlossen wir uns schließlich, den Titel der Ausstellung im Rahmen der Stuttgarter Ausstellung zu verändern: das "und" wurde durchgestrichen und durch ein "ist" erweitert.

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