Shutdown-Porgramm #6

Åsa Sonjasdotter, Cultivating Stories (Geschichten kultivieren), 2019
DIGITALE DRUCKE + VIDEO
Koproduziert von Bergen Assembly 2019
Courtesy: Åsa Sonjasdotter
Kontext: Actually, the Dead Are Not Dead. Politiken des Lebens

Åsa Sonjasdotters zweiteilige Arbeit Cultivated Stories (Geschichten kultivieren) ist Teil der Ausstellung Actually, the Dead Are Not Dead. Politiken des Lebens. Sie beschäftigt sich mit der Geschichte und globalen Industrie der Pflanzenzüchtung, bei der aus Gründen einer vermeintlichen Effizienz und von Gewinnmaximierung Vielfalt weitgehend eliminiert wurde. Der Film bezieht sich dabei auf Versuche, diese Normierung rückgängig zu machen. Dokumentarische Elemente werden immer wieder durchbrochen von imposanten Bildern und Geräuschen der Wind und Wetter ausgesetzten Getreidefelder. Der Filmfordert eine gewisse Langsamkeit ein.
Cultivated Stories steht in Beziehung zu Arbeiten wie Sunaura Taylors Übermalungen eines Wildlife-Fotobandes, die sich gegen Umweltzerstörung und die Massentierhaltung der Lebensmittelindustrie richten, in dem sie stattdessen eine Allianz zwischen Mensch und dem nicht-domestizierten Tier vorschlagen. Es ist ihr eigener nackter Körper, mit dem sie sich den wilden Tieren nähert.
Diese Arbeit ist auch in der dritten Ausgabe des Crip Magazines zu finden, das in der Ausstellung ausliegt und zugleich in einer Wandinstallation von Eva Egermann, neben Auszügen aus den ersten beiden Ausgaben der Zeitschrift, auftaucht. Wie andere Arbeiten der Ausstellung befragt das Crip Magazin kulturelle, klinische und weitere Konstruktionen von Norm und dem Abnormalen.

DIGITALDRUCKE
von Archivfotografien des Schwedischen Saatgutverbandes (Sveriges utsädesförening) Anfang 1900er Jahre, Maße variabel

Die Posterdrucke dokumentieren frühe Versuche, Pflanzen in Monokulturen zu züchten. Die Methode der so genannten „Reinzucht“ wurde von dem 1886 gegründeten Schwedischen Saatgutverband eingeführt. Die Verfahrensweise wurde von dem dänischen Botaniker Wilhelm Johannsen (1857-1927) erfunden, während er am chemischen Labor der Carlsberg-Brauereien in Kopenhagen arbeitete. Dieses Labor hatte eine Reinzuchthefe entwickelt, die einen kontrollierten Gärungsprozess ermöglichte, ohne dass das Bier sauer werden konnte. Johannsen begann als Folge dieser profitablen Entwicklung mit Experimenten, die sich mit einer entsprechenden "Reinzucht" bei Pflanzen beschäftigten. Durch die multi-generationale Inzucht von Erbsen wurde es möglich, sie fast ohne genetische Variationen zu züchten. Dies führte zu Pflanzen, die Klonen ähnelten, die als „reine“, „ursprüngliche“ Formen der Pflanze verstanden wurden, oder als das, was Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) Urform nannte. (1) Über mehrere Jahrzehnte hinweg förderte der Schwedische Saatgutverband die „Reinzucht“ und legte damit den Grundstein für die heutige moderne Pflanzenzüchtung. Die Methode wird immer noch von kommerziellen Züchter*innen verwendet und durch Gesetzgebungen gefördert. Seit 1962 sind nur noch einheitliche Sorten für den kommerziellen Anbau innerhalb der EU und weiterer Länder zugelassen, die das UPOV-Übereinkommen über die Verwendung intellektuellen Eigentums unterzeichnet haben. (2)

VIDEO
über die ökologische und partizipative Getreidezüchtung des Agronomen Hans Larsson, Schweden
Ton, Farbe, 34'

Cultivated_Abundance_Temporary_Gallery

Der Film dokumentiert die Arbeit des schwedischen Pflanzenwissenschaftlers Hans Larsson bei der Wiedergewinnung und Verbesserung der wenigen verbliebenen Sorten von genetisch vielfältigem Urgetreide. Mit der Einführung der modernen globalen Pflanzenzüchtung, die durch eine kontinuierliche Vor-Ort-Züchtung seit Beginn des Anbaus vor etwa zehntausend Jahren entstanden ist, ging die Getreidevielfalt fast verloren. Die den Pflanzen innewohnende genetische Variation ist entscheidend für ihre Fähigkeit, sich an neue Klima- und andere Anbaubedingungen anzupassen. Larsson hat alle noch verbliebenen Sorten in Skandinavien getestet und weitergezüchtet, was zu Variation und Anpassung an die heutigen Anbaubedingungen beiträgt.
Die Vermehrung dieser Sorten und die Verteilung ihres Saatguts an Landwirte wird durch den Verband Allkorn organisiert. Urgetreide sind zu vielfältig, als dass sie nach dem UPOV-Übereinkommen für die kommerzielle Verbreitung unter Landwirten zugelassen werden könnten. Nur als Mitglied von Allkorn oder ähnlichen Vereinigungen ist es für Landwirte legal, Urgetreide anzubauen.

Anmerkungen
1: Wilhelm Johannsen, Elemente der exakten Erblichkeitslehre. Mit Grundzügen der biologischen Variationsstatistik. In dreißig Vorlesungen, 2. Auflage. Jena: Gustav Fischer, 1913
2: Das Ziel von UPOV, dem Internationalen Verband zum Schutz von Pflanzenzüchtungen, ist es, diesen Schutz über das Recht auf geistigem Eigentum zu gewährleisten, https://www.upov.int/.

Åsa Sonjasdotter
*1966 in Helsingborg, Schweden, lebt auf der Insel Ven, Südschweden, und in Berlin, Deutschland.

Die Künslerin Åsa Sonjasdotter arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Valand-Akademie der Universität Göteborg. Sie ist Gründungsmitglied der Nachbarschaftsakademie, einer 2015 gegründeten Bottom-up-Lernstätte und Zweigstelle des Prinzessinnengartens in Berlin. Sie war Professorin an der Tromsø Akademie für Zeitgenössische Kunst in Tromsø, Norwegen, einer Institution, an deren Gründung sie 2007 beteiligt war. Von 1996 bis 2006 war Sonjasdotter Gründungsmitglied der dänischen feministischen Kunst- und Aktionsgruppe Kvinder på Værtshus (Frauen in der Kneipe). Sonjasdotter hat an der Königlich Dänischen Akademie der Schönen Künste in Kopenhagen und an der Trondheim Academy of Fine Art in Norwegen studiert. Sie hat einen MFA-Abschluss der Abteilung für Theorie und Kommunikation der Königlich Dänischen Akademie der Schönen Künste in Kopenhagen und der Trondheim Academy of Fine Art in Norwegen. Seit 2014 ist sie Forschungsstudentin an der Kunstabteilung der Universität London. Sonjasdotter wurde 2014 vom Ministerium für Kultur und Kommunikation und vom Ministerium für Ökologie und nachhaltige Entwicklung mit dem COAL-Preis für Umweltkunst in Frankreich (Prix COAL Art et Environnement) ausgezeichnet. Ihr Werk The Order of Potato wurde 2009 von der Dänischen Kunststiftung ausgezeichnet.

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