Shutdown Programm #7

What We Now Need is Systemic Change.
Über die Dringlichkeit fairer Verhältnisse im Kunstbetrieb
ONLINE UND ONSITE GESPRÄCH
Dienstag, 30. Juni 2020, 19 – ca. 21.30 Uhr

mit
Daniel G. Andújar, Künstler, Barcelona
Fabiola Fiocco, Francesca Masoero, Giulia Mengozzi, Art Workers Italia [AWI]
Iris Dressler, Direktorin des Württembergischen Kunstvereins Stuttgart
Michael Kress, Künstler, Vorstand Deutscher Künstlerbund, Berlin und Sprecher der Initiative Ausstellungsvergütung

In Italien hat sich mit der SARS-CoV-2-Pandemie ein neues Netzwerk gegründet, die Art Workers Italia [AWI], die sich auf nationaler wie internationaler Ebene für fairere, angemessenere und stabilere Arbeitsverhältnisse im Kunstbetrieb einsetzen. Diese informelle Gruppe von Kunstarbeiter*innen basierte von Beginn an zugleich auf einer kritischen Auseinandersetzung mit den eigenen Strukturen, Arbeitsweisen und ethischen Vereinbarungen. Was uns die SARS-CoV-2-Pandemie lehrt, ist eben nicht nur, dass es anderer ökonomischer Verhältnisse, sondern auch anderer Selbstverständnisse und Strukturen im Kunstbetrieb bedarf. Es geht um die Frage, wie, wofür und unter welchen Bedingungen wir in Zukunft in diesem Bereich arbeiten wollen.

Im Rahmen seines Shutdown Programms geht der Württembergische Kunstverein dieser und weiteren Fragen am Dienstag, den 30. Juni 2020, ab 19 Uhr in Form eines live stattfindenden Online- und Onsite-Gesprächs nach. Neben den aktuellen Initiativen der Art Workers Italia sollen dabei auch Ansätze und Modelle diskutiert werden, die von Künstler*innenverbänden in Deutschland und Spanien in den letzten Jahren hinsichtlich Ausstellungshonoraren und weiteren Vereinbarungen zwischen Künstler*innen und Institutionen erarbeitet wurden: und woran diese bislang (Deutschland) bzw. nach einigen wegweisenden Erfolgen (Spanien) gescheitert sind. Ziel ist es, mit dieser wie mit weiteren geplanten Veranstaltungen, Diskussionen und Aktivitäten langfristig und nachhaltig darüber nachzudenken, wie sich die Strukturen des Kunstbetriebs auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene verändern lassen und müssen. Die Veranstaltung wird in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Künstlerbund durchgeführt.

Die Problematiken
Seit Jahrzenten werden die oftmals unzureichenden, ausbeuterischen und fragilen Bedingungen von insbesondere freiberuflich beschäftigten Kulturarbeiter*innen – das heißt von Künstler*innen, Kurator*innen, Vermittler*innen, Techniker*innen, Aufbauhelfer*innen, Assistent*innen, Praktikant*innen, Aufsichten, Kassen- und Reinigungskräften etc. – angemahnt und diskutiert. Einer der Gründe für deren meist unangemessene Bezahlung hat mit einer Förderpolitik zu tun, die ein Gros der öffentlichen Kunstinstitutionen einem dauerhaften strukturellen Defizit aussetzt und notorisch auf die Reduktion von Personalkosten drängt. Ausstellungshonorare für Künstler*innen sind dabei, wenn nicht gar untersagt, nur in seltenen Fällen vorgesehen geschweige denn explizit erwünscht.

Die SARS-CoV-2-Pandemie hat die prekären Beschäftigungsverhältnisse des Kunst- und Kulturbetriebs in aller Drastik aufgezeigt. Selbst in jenen Ländern, die derzeit selbstständige Kulturarbeiter*innen mit mehr oder weniger großzügigen Hilfspaketen versorgen, deutet sich bereits an, dass sich die Lage über kurz oder lang massiv verschärfen wird: denn im Zuge der anstehenden Haushaltssanierungen sind gravierende Kürzungen im Kulturbereich zu befürchten.

Sollten die aktuellen einschneidenden Erfahrungen der Fragilität, Unsicherheit und Verletzlichkeit des Kunst- und Kulturbetriebes nicht vielmehr zum Gegenteil führen, das heißt zu einer Förderpolitik, die faire, diverse und inklusive Arbeitsverhältnisse in diesem Bereich erlaubt, statt die Ausbeutung prekär Beschäftigter noch zu erhöhen?

Das Gespräch
In unserem Online / Onsite Gespräch möchten wir dieser und weiteren Fragen auf europäischer Ebene nachgehen. Ausgangspunkt ist dabei die Gründung von Art Workers Italia [AWI] noch während des Corona-Lockdowns in Italien. Die Entstehung, Ziele, Strukturen und ethischen Grundlagen dieses bereits über 2.300 Mitglieder zählenden Netzwerks werden von Fabiola Fiocco, Francesca Masoero und Giulia Mengozzi vorgestellt.
Daniel G. Andújar, der lange Zeit im spanischen Verband der bildenden Künstler*innen aktiv war, referiert über einige herausragende Erfolge, die der Verband bezüglich der Honorierung von Künstler*innen sowie der Konzeption fairer Verträge zwischen diesen, öffentlichen Institutionen, privaten Sammler*innen etc. erreicht hat. Mit der letzten Finanzkrise und aufgrund anderer Problematiken wurden diese weitreichenden Regularien aufgeweicht wenn nicht gänzlich bedeutungslos. Andújar beleuchtet einige der Gründe, weshalb es dazu kam.
Als drittes Beispiel wird Michael Kress über die Situation in Deutschland berichten, wo seit Jahrzehnten regelmäßig über die Einführung verbindlicher Ausstellungshonorare debattiert wird, sich diese aber nach wie vor nicht durchsetzen konnten. Woran liegt das?

Anhand der drei Beispiele möchten wir darüber diskutieren, welche Strategien, Forderungen, Arbeitsweisen und Haltungen auf lokaler, regionaler und internationaler Ebene notwendig sind, um die bestehenden Verhältnisse zu verändern und neue Perspektive für den Kunst- und Kulturbetrieb zu formulieren.

Eine Veranstaltung von
Württembergischer Kunstverein Stuttgart und Deutscher Künstlerbund, Berlin

Sprache
Englisch

Onsite
Württembergischer Kunstverein Stuttgart

Begrenzte Teilnehmer*innenzahl
Online: 50
Onsite: 20

Anmeldung unter
ruehl[at]wkv-stuttgart.de
(Bitte geben Sie an, ob Sie Online oder Onsite teilnehmen möchten)

Keywords
#Andere Zukunft #Andere Ökonomien #Ausstellungshonorare #Bedingungsloses Grundeinkommen #Künstler*innenhonorare  #Kunstarbeiter*innen #Prekarisierung #Systemischer Wandel

INFO

Art Workers Italia
https://artworkersitalia.it
"[ART WORKERS ITALIA] is an informal, autonomous, and non-partisan group of contemporary art workers formed in response to the current crisis due to the Covid-19 pandemic. [AWI] includes all figures who operate within public and private organisations and institutions for contemporary art – such as museums, foundations, cultural associations, universities, independent spaces, galleries –  and/or those who carry out freelance work in collaboration with these organisations. Together, we have convened under [AWI] to communicate our demands with a single [INDEPENDENT VOICE] …"

Deutscher Künstlerbund
https://www.kuenstlerbund.de
"Der Deutsche Künstlerbund übernimmt … seit seiner Entstehung engagiert und kompetent kulturpolitische Aufgaben in unserer Gesellschaft. Er versteht sich als ein Zusammenschluss von bildenden Künstler*innen … Mitglieder des Künstlerbundes wirken in nationalen und internationalen Gremien, Kuratorien und Ausschüssen mit, die auch beratend an der Erarbeitung gesetzgebender Regelungen beteiligt sind. Viele Initiativen des Deutschen Künstlerbundes, wie zum Beispiel die Einrichtungen der Künstlersozialkasse, haben sich mittlerweile mit großer Selbstverständlichkeit im Kultur-Alltag etabliert."

Initiative Ausstellungsvergütung

https://www.initiativeausstellungsverguetung.de
"Die Initiative Ausstellungsvergütung, gegründet im Sommer 2016, ist ein Zusammenschluss der bundesweit agierenden Künstlerverbände und der Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst, um gemeinsam auf die existentiellen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Bildenden Künstler*innen hinzuweisen. Die Initiative Ausstellungsvergütung möchte der überfälligen Forderung einer Vergütung von Leistungen, die Künstler*innen in der Ausstellungspraxis erbringen, Nachdruck verleihen und der Ausstellungsvergütung den Weg in die politischen Entscheidungsebenen bereiten."

WEITERE REFERENZEN

Erik Krikortz, Airi Triisberg, Minna Henriksson (Eds), Art Workers. Material Conditions and Labour Struggles in Contemporary Art Practice, Berlin, Helsinki, Stockholm, Tallinn 2015
http://www.art-workers.org/download/ArtWorkers.pdf
"To some extent, this book is a retrospection of recent art workers’ struggles, aiming to document, contextualise and revisit them from a critical perspective. At the same time, this book is also an attempt to capture the present situation of material conditions and organising practices in the art field together with related challenges and potentialities. Last but not least, this book is motivated by an aspiration to imagine desirable futures that are constructed from the subject position of precarious (art) workers."

Künstlerhaus Stuttgart, Arbeitsgruppen, 2020-2021
https://kuenstlerhaus.de/app/uploads/2020/03/Arbeitsgruppen-Ausstellungspamphlet-1.pdf
"Die Ausstellung Arbeitsgruppendes Künstlerhauses Stuttgart stößt eine zweijährige Reihe geschlossener Arbeitsgruppen an, die eine grundlegende Neubewertung der institutionellen Verwaltungsstrukturen, sozioökonomischen Bedingungen und Arbeitsverhältnisse der Kunstproduktion und -distribution vornehmen sollen. Diese Arbeitsgruppen, bestehend aus lokalen, regionalen und internationalen Interessenträgern werden für das Künstlerhaus Stuttgart Richtlinien, Verträge und Satzungen entwerfen und umsetzen. Neben der direkten Anwendung auf das Künstlerhaus Stuttgart als reaktive institutionelle Fallstudie, bietet die Arbeitsgruppenreihe ein Modell kollaborativer Leitungsstruktur und fördert erfahrungsbasierte Untersuchungen gemeinschaftlicher politischer Strategien …"

Künstlersozialkasse (KSK)
https://www.kuenstlersozialkasse.de
"Die Künstlersozialkasse (KSK) … sorgt mit der Durchführung des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) dafür, dass selbständige Künstler und Publizisten einen ähnlichen Schutz in der gesetzlichen Sozialversicherung genießen wie Arbeitnehmer. Sie ist selbst kein Leistungsträger, sondern sie koordiniert die Beitragsabführung für ihre Mitglieder zu einer Krankenversicherung freier Wahl und zur gesetzlichen Renten- und Pflegeversicherung. Selbständigen Künstlern und Publizisten steht der gesamte gesetzliche Leistungskatalog zu. Sie müssen dafür aber nur die Hälfte der jeweils fälligen Beiträge aus eigener Tasche zahlen, die KSK stockt die Beträge auf aus einem Zuschuss des Bundes (20 %) und aus Sozialabgaben von Unternehmen (30 %), die Kunst und Publizistik verwerten."

Precarious Workers Brigade, London
https://precariousworkersbrigade.tumblr.com
"We are a UK-based group of precarious workers in culture & education. We call out in solidarity with all those struggling to make a living in this climate of instability and enforced austerity. The PWB’s praxis springs from a shared commitment to developing research and actions that are practical, relevant and easily shared and applied. If putting an end to precarity is the social justice we seek, our political project involves developing tactics, strategies, formats, practices, dispositions, knowledges and tools for making this happen."

W.A.G.E.
Working Artists And the Greater Economy
https://wageforwork.com/home#top
"Since its founding in 2008, W.A.G.E.’s work has developed in service of a single achievable goal—the regulated payment of artist fees in the nonprofit sector—but we emerge from a long tradition of artists organizing around the issue of remuneration for cultural work in the United States that dates back to the 1930s.We see the contemporary fight for non-wage compensation as part of a wider struggle by all gig workers who supply content without payment standards or an effective means to organize. In the context of contemporary art, where the unpaid labor of artists supports a more than $60 billion-dollar industry, W.A.G.E.’s mission is to establish sustainable economic relationships between artists and the institutions that contract our labor, and to introduce mechanisms for self-regulation into the art field that collectively bring about a more equitable distribution of its economy."

 

 

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