Imagination in (Zeiten) der Krise

Donnerstag, 5. Dezember 2024, 18:30 Uhr
PODIUM
Über die Bedingungen und Grenzen des Möglichkeitssinns angesichts derzeitiger Konfliktlagen

mit
Galit Eilat, Mohammad Salemy (Zoom), Solmaz Shahbazi
Moderation: Iris Dressler
Sprache: Englisch
Eintritt: frei
Anmeldung unter: assistenz@wkv-stuttgart.de

wkv_imagination_konzept_de_11.pdf

Das Podium Imagination in (Zeiten) der Krise fragt angesichts der zahlreichen gegenwärtigen Konfliktlagen in Bezug auf den sogenannten „Nahen Osten“ und auf den Umgang mit diesen in Deutschland nach den Möglichkeiten und Grenzen eines offenen Sprachraums. Wie lässt sich in den öffentlichen Diskursen zu diesen Konflikten anstelle des Unverhandelbaren wieder das Aushandeln und Verhandeln in den Mittelpunkt rücken? Welcher Formen und Formate und welcher Vorstellungskraft bedarf es dafür? Und welchen Beitrag können die Künste und die sogenannten Geisteswissenschaften hierfür leisten, die unter anderem für das Aushalten von Widersprüchen und Ambivalenz, für das Mehrdeutige und für die Kraft der Imagination stehen: das heißt für die Kraft, das scheinbar Unmögliche zu denken? Nicht zuletzt möchten wir darüber diskutieren, wie sich staatliche Maßnahmen wie die Bundestagsresolution „Nie wieder ist jetzt: Jüdisches Leben in Deutschland schützen, bewahren und stärken“ (2024), zu diesen Potenzialen von Kunst und Wissenschaften verhalten.

Mit der Resolution „Nie wieder ist jetzt“ wird erneut gefordert, in Deutschland die IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus als Maßstab für Verhaltenskodizes und vor allem für staatliche Maßnahmen geltend zu machen. Dabei wird vorausgesetzt, die IHRA-Definition sei eindeutig.

Die rechtlich unverbindliche Resolution fordert ferner, im Kampf gegen Antisemitismus „Gesetzeslücken zu schließen und repressive Möglichkeiten konsequent auszuschöpfen.“ Im Kern geht es dabei um die Möglichkeit, Kunst- und Wissensinstitutionen, die sich nicht an die IHRA-Definition halten, durch das Streichen öffentlicher Fördermittel zu sanktionieren, sowie um eine Verschärfung der Asyl- und Aufenthaltsrechtspolitik. Denn laut dem Papier sei die Zunahme von Antisemitismus unter anderem auf die „Zuwanderung aus den Ländern Nordafrikas und des Nahen und Mittleren Ostens“ zurückzuführen. Bestimmte Migrant*innen und migrantisierte Menschen sowie Künstler*innen und Wissenschaftler*innen werden als Personenkreise markiert, die generell unter Antisemitismusverdacht stehen: die einen aufgrund ihrer Herkunft und Religion, die anderen, so scheint es, weil sie in Bereichen tätig sind, in denen Freiheit hochgehalten wird – die quasi als Inbegriffe von Freiheit gelten.

Aber geht es hier tatsächlich um Freiheit oder vielmehr um den Umstand, dass Künste und Wissenschaften für das Uneindeutige, für Ambivalenz und das Potential stehen, Dinge und Verhältnisse anders zu denken, sie sich anders vorzustellen? Ist es die Kraft der Imagination, die als potenziell gefährlich gilt – eine Kraft, die der Kunst, Wissenschaft und Migration auf je besondere Weise zu eigen ist?

Das Podium versteht sich als Auftakt einer nachhaltigen Beschäftigung mit der Frage nach den Bedingungen und Möglichkeiten einer anderen Sprache bzw. anderer Sprachräume angesichts der derzeitigen scheinbar unüberwindbaren Konfliktlagen. Ausgangspunkt ist dabei der Begriff der Imagination im Sinne einer emanzipatorischen politischen Kraft, wie sie unter anderem durch Cornelius Castoriadis als Kern jeden gesellschaftlichen und politischen Wandels beschrieben wurde. Es geht um den Möglichkeitssinn, das Unmögliche denkbar zu machen. Dies setzt voraus, dass wir die Dinge und Verhältnisse als prinzipiell mehrdeutig, widersprüchlich und offen verhandeln. Umgekehrt ist die Frage zu stellen, an welchem Punkt Imagination selbst in die Krise gerät.

Beteiligte

Galit Eilat
Galit Eilat (*1965 in Haifa, Israel) ist Kuratorin, Kulturwissenschaftlerin und Autorin. Seit 2018 ist sie Direktorin der Meduza Foundation in Amsterdam, die sich den Beziehungen zwischen Kunst und Gesellschaft widmet. Mit ihren Projekten möchte sie kollektive Begegnungen und Erfahrungsräume schaffen, die die bestehenden Verhältnisse kritisch reflektieren. Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen Prozesse der Wissensverbreitung sowie die Überzeugung, dass die Kunst das Potenzial hat, sozialen Wandel auszulösen. Ihre aktuellen Forschungsprojekte befassen sich mit der territorialen Dynamik sozio-ökologischer Systeme und der nachhaltigen Entwicklung in extremen Umgebungen.
2001 gründete Eilat das Israeli Center for Digital Art in Holon, wo sie zehn Jahre lang als Direktorin tätig war. Im Jahr 2004 war sie Mitbegründerin des Online-Kunst- und Kulturmagazins Maarav und 2007 Mitbegründerin des Mobile Archive. Gemeinsam mit Reem Fadda, Eyal Danon und Phil Misselwitz initiierte sie die Seminarreihe Liminal Spaces, eine Plattform für gemeinsame Arbeit, Aktionen und den Dialog zwischen der israelischen und der palästinensischen Kunstgemeinschaft. Sie war die erste künstlerische Leiterin der Akademie der Künste der Welt in Köln. Unter anderem kuratierte und ko-kuratierte sie Projekte wie VideoZone 4: International Video Art Biennial in Tel Aviv, And Europe will be Stunned: Yael Bartana im polnischen Pavillon auf der Biennale von Venedig (mit Sebastian Cichocki), den Oktobersalon in Belgrad (mit Alenka Gregoric) und die 31. Sao Paulo Biennale (mit Nuria Enguita Mayo, Pablo Lafuente, Charles Esche, Oren Sagiv und den assoziierten Kuratoren Benjamin Seroussi und Luiza Proença). Zu den internationalen Kooperationen gehören Projekte mit der gfzk | Galerie für Zeitgenössische Kunst, Leipzig; Wyspa Institute of Art, Gdansk; Van Abbemuseum, Eindhoven; Museum für Moderne Kunst in Warschau; Nationalgalerie Kosovo; Kunsthaus Bregenz; MG + MSUM Moderna Galerija Ljubljana; SALT, Istanbul; Malmö Konstmuseum; Serralves Museum und anderen.
 
Mohammad Salemy
Mohammad Salemy (*1967 in Kermanshah, Iran) ist ein kanadischer Künstler, Kurator und Schriftsteller, der derzeit in Berlin lebt. Seine Arbeit bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Kunst und Theorie. Er ist Mitbegründer des New Centre For Research & Practice in Jersey City, einer Hochschule, die Kunst, Geistes- und Naturwissenschaften zusammenbringt.
In seinen Schriften setzt Salemy sich mit Medientheorie, den Schnittstellen von Mensch, Maschine und Umwelt und einer Poetik des Codes auseinander. 2016 gab er die Publikation For Machine Use Only (&&& / The New Centre, 2016) heraus mit Texten von Schriftsteller*innen wie Jason Adams / Kate Armstrong, Clint Burnham und Siwin Lo; Philosoph*innen wie Elie Ayache, Benjamin Bratton, Diana Khamis, Matteo Pasquinelli und David Roden; Theoretiker*innen wie Alexander Galloway, Leo Goldsmith, Simón Isaza, Nicola Masciandaro, Rory Rowan oder T'ai Smith; und Künstler*innen wie Lou Cantor, Manuel Correa, Victoria Ivanova, Ed Keller oder Benjamin Noys.
Seine theoretisch-philosophischen Essays wurden in Büchern wie Reinventing Horizons und Politics of Study veröffentlicht. Er nahm an zahlreichen Podiumsdiskussionen und Vorträgen in Galerien, Museen und Hochschulen teil. 2023 erschein das von ihm herausgegebene Buch Model is the Message: Incredible Machines Conference 2022 (&&&). Salemys Werke sind derzeit in der Ausstellung Sea and Fog (bis 26.1.2025) in der Kunsthalle Baden-Baden zu sehen.
 
Solmaz Shahbazi
Solmaz Shahbazi (*1971 in Teheran) studierte Architektur und Design an der Staatlichen Akademie für Bildende Künste in Stuttgart und lebt derzeit in Berlin. In ihrer künstlerischen Arbeit beschäftigt sie sich mit gesellschaftlichen Strukturen, deren Wandel und Auswirkungen politischer Veränderungen auf Stadtstrukturen, öffentliche Räume und gesellschaftliches Leben. Shahbazi weigert sich, dem uralten Instinkt, zu entmystifizieren und zu erklären, nachzugeben und stellt subtile Fragen zum gesamten Dokumentarischen, wie wir es kennen. Sie nutzt dokumentarische Formate sowohl in Videos als auch in ihren Fotografien als Werkzeug, um verschiedene Bildmodi, die Erwartung an das Fremde und deren mögliche Auswirkungen auf die Wahrnehmung zu untersuchen und zu hinterfragen. Ab 2016 war sie als Kuratorin und künstlerische Leiterin mit einem Austauschprojekt zwischen den Städten Berlin und Teheran beschäftigt, die im Spannungsfeld der Globalisierung und wachsender Bevölkerung zwischen ideologischen Vorstellungen und dem Aufbegehren ihrer Bevölkerung die Besetzung und Bedeutung des städtischen Raums neu verhandeln müssen.
 
Die Veranstaltung wird gefördert von
Kulturamt der Landeshauptstadt Stuttgart
Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg

deueng
suchenImpressum
instagramfacebooktwitteryoutube
Schlossplatz 2
D-70173 Stuttgart
Fon: +49 (0)711 - 22 33 70
Fax: +49 (0)711-22 33 791
zentrale@wkv-stuttgart.de
Württembergischer Kunstverein Stuttgart