Diagramm des offiziellen Ausstellungssystems in Ungarn während des Sozialismus, Publiziert in der Zeitschrift Művészet (Kunst), 10/1979
Diagramm des offiziellen Ausstellungssystems in Ungarn während des Sozialismus, Publiziert in der Zeitschrift Művészet (Kunst), 10/1979
Miklós Erdély, Moral Algebra. Solidarity Action, 1972, Rekonstruktion, Miklós Erdély Foundation, Ausstellungsansicht, WKV 2009
Miklós Erdély, Moral Algebra. Solidarity Action, 1972, Rekonstruktion, Miklós Erdély Foundation, Ausstellungsansicht, WKV 2009
The Indigo Group, Provisorische Skulptur aus Baumwolle, 1981
The Indigo Group, Provisorische Skulptur aus Baumwolle, 1981
The Indigo Group, Provisorische Skulptur aus Styropor. Rekonstruktion der „Provisorischen Skulptur aus Baumwolle” von 1981, Ausstellungsansicht, WKV 2009
The Indigo Group, Provisorische Skulptur aus Styropor. Rekonstruktion der „Provisorischen Skulptur aus Baumwolle” von 1981, Ausstellungsansicht, WKV 2009
Gyula Pauer, Marx-Lenin, 1971
Gyula Pauer, Marx-Lenin, 1971
CAYC, Ungarische Edition, 1974
CAYC, Ungarische Edition, 1974
IPUT, Subsist.ence Level St.andard Project 1984 W, II. Phase, The Mutant Class (Art-St.Rike Tape), 1981
IPUT, Subsist.ence Level St.andard Project 1984 W, II. Phase, The Mutant Class (Art-St.Rike Tape), 1981

Das Morgen ist Beweis!

KuratorInnen: Annamária Szőke und Miklós Peternák

Gábor Altorjay, László Beke (Archiv), CAYC Hungary, Miklós Erdély, Indigo Group, IPUT (superintendent: Tamas St. Auby), Gyula Pauer

Die zentralisierten Kunstinstitutionen der 1960er bis 1980er Jahre in Ungarn wurden von der Ideologie der Staatspartei bestimmt (siehe Diagramm). Die Partei übte ihre Kontrolle dabei nicht nur durch Kulturfunktionäre, Jurys und die Presse aus, sondern auch durch Denunzianten und Agenten des Abwehrdienstes. Trotz der allmählichen „Liberalisierung“ in den 1960er Jahren wurde das kulturelle Leben bis zum Untergang des Sozialismus von György Aczél, dem einflussreichen Kulturpolitiker, geprägt. Als Gegenpol zur offiziellen „ersten Öffentlichkeit“ der Künstler, etablierte sich ab der zweiten Hälfte der 1960er Jahre die sogenannte „zweite Öffentlichkeit“. Hierzu zählten die Samisdat-Literatur sowie Ausstellungen, Vorträge, Aktionen, Workshops, Filmabende und Konzerte, die in Privatwohnungen, Kellern, Ateliers, Kulturhäusern, Klubs und verschiedenen Universitätseinrichtungen stattfanden. Die Künstler der „zweiten Öffentlichkeit“ etablierten überdies vielfältige Netzwerke zu ausländischen Kunstszenen: durch persönliche Kontakte, mündlich oder postalisch verbreitete Informationen.
Die Werke dieser Ausstellungssektion waren unter den damaligen Umständen auf vielerlei Ebenen subversiv. Uns interessiert jedoch die Frage nach ihrem heutigen subversiven Potenzial. Neben Werken, die zu ihrer Zeit in Ungarn oder im Ausland gezeigt wurden (etwa St.Auby), sind hier auch Werke zu sehen, die entweder vernichtet wurden (Pauer) oder verloren gingen (Erdély), die nur ephemer existierten (Indigo-Gruppe) oder nicht realisiert wurden (Altorjay). Sie werden in ihrer ursprünglichen oder in neuer Version oder als Wiederaufführungen der Künstler vorgestellt. Die Rekonstruktion der Vergangenheit geschieht dabei im Kontext aktueller Ereignisse. (Annamária Szőke, Miklós Peternák; Titel: Gyula Pauer: Protest-Sign Forest, 49)

WERKE (Auswahl)
Alle Texte, wenn nicht anders vermerkt: Annamária Szőke und Miklós Peternák

Gábor Altorjay (D; 1946, HU)
15 Aktionen für Marta Minujin, 1967
Uraufführung am 12. Oktober 2007 in der Aula und im Vorführraum der Universität für Bildende Künste Budapest, im Rahmen der Veranstaltungsreihe Die Zeit des Werkes/das Werk in der Zeit.
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Gábor Altorjay floh 1967 nach Deutschland, lebte kurze Zeit in Stuttgart und arbeitete später in Köln mit Wolf Vostell zusammen. Angaben zu seinem ersten Happening Das Mittagessen (mit Tamás Szentjóby) finden sich in der 1970 von Hanns Sohm herausgegebenen Publikation Happening & Fluxus, die anlässlich der gleichnamigen Ausstellung (unter anderem) im Kölnischen Kunstverein und Württembergischen Kunstverein erschien. Altorjay verfasste hierfür einen Text, der jedoch nicht berücksichtigt wurde, und mit der folgenden Passage beginnt: „In Ungarn haben wir Happening, Fluxus und andere parallele Erscheinungen als einen Teil der allgemeinen Kulturrevolution begriffen, als eine Bewegung, die unter dem Decknamen ‚Kunst’ zur Vernichtung der Kunst beiträgt, besser gesagt, die diese Zufluchtsstätte für Geschäftemacher, Pseudofrustrierte, Faulenzer, Romantiker, Feiglinge und Kollaborateure ausräuchert. Wir haben gedacht, dass das Happening dort anfängt, wo die Kunst aufhört.”
Die Figur von Marta Minujin, die Altorjay auf einem Foto gesehen hatte und die für ihn Freiheit, Unabhängigkeit und Schönheit symbolisierte, bewog ihn dazu, seine 15 Aktionen im Sommer 1967 der argentinischen Künstlerin zu widmen. Gábor Altorjay begegnete Mata Minujin zum ersten Mal 2009 in Stuttgart.

CAYC Hungría 74 (Buenos Aires, November–Dezember 1974)
Digitale Präsentation des Kataloges, 2009
Courtesy: CAYC, die Künstler, C3
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Das Centro de Arte y Comunicación (Zentrum für Kunst und Kommunikation) wurde im August 1968 von Jorge Glusberg in Buenos Aires gegründet. Den Mitgliedern, zu denen Künstler, Soziologen, Mathematiker, Kritiker und Architekten gehörten, ging es im Wesentlichen um eine Verbindung zwischen Kunst, Technik und gesellschaftliche Anliegen. Die Einzel- und Gruppenausstellungen, die CAYC ab Anfang der 1970er Jahre organisierte, stellten sowohl argentinische Künstler im Ausland als auch internationale Künstler in Argentinien vor. Die ersten Kontakte des CAYC nach Ungarn gehen auf die frühen 1970er Jahre zurück, als Glusberg in Budapest László Beke kennenlernte, der ihm ungarische Künstler vorstellte. Glusberg lud einige von ihnen zur Teilnahme an einer Ausstellung in Buenos Aires ein, deren Werke er mitnahm. Zugleich verteilte er leere Formblätter des CAYC an einige Künstler, die darauf ihre meist konzeptuellen Werke schufen und sie (oder Material für diese) an Glusberg zurücksandten. Daraus entstand das wichtigste und praktisch einzige Dokument beziehungsweise der Katalog der Ausstellung ungarischer Künstler, die 1974 im CAYC gezeigt wurde. Einige Quellen belegen, dass im CAYC sogar zwei Ausstellungen mit ungarischen Künstlern stattfaden: Festival de la vanguardia húngara 73 (im November 1973) und Hungría 74 (im November-Dezember 1974). Letztere wird in der Ausstellung in Form eines digitalisierten Kataloges präsentiert.

Indigo-Gruppe, seit 1978
Provisorische Skulptur aus Styropor. Rekonstruktion der „Provisorischen Skulptur aus Watte” von 1981, 2009
In-situ Installation, Styroporplatten, Holzlatten, Verkleidung der Decke mit Kohlepapier, 350 x 350 x 400 cm. Von Bálint Bori, Zoltán Lábas, János Sugár
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Die ungarische Abkürzung „INDIGO“ steht für „INterDIszciplináris GOndolkodás” (Interdisziplinäres Denken) und bezeichnete einen jener Workshops, die Miklós Erdély von 1975 bis zu seinem Tode leitete. Ende der 1970er Jahre ging aus dem Indigo-Workshop die gleichnamige Gruppe hervor, die bis heute existiert. Sie setzte sich mit Themen, die über individuelle Kunstpraktiken hinausgingen, auseinander, und die nach der Verantwortung des Einzelnen in der Gesellschaft fragten. Zwei Texte, die in der ersten Hälfte der 1980er Jahre von der Indigo-Gruppe verbreitet wurden – der Indigo-Friedensaufruf und die Gründungsurkunde der Freiwilligen Gesetzgebenden Körperschaft –, verweisen auf dieses Interesse. Die beiden Texte beziehen sich mehr oder weniger direkt auf die damaligen internationalen Friedensbewegungen. Die Installation Provisorische Skulptur aus Watte von 1981 war das erste Werk der Gruppe, das sich mit der atomaren Bedrohung auseinandersetzte. Die Arbeit wurde für die Ausstellung neu produziert.

IPUT (International Parallel Union of Telecommunications – ad interim dispatcher: Tamach St.Aubsky, collaborators: Isabelle „Demi Scion Polar” Hernandez és STRATIS SA)
Subsist.ence Level St.andard Project 1984 W, II. Phase, The Mutant Class (Art-St.Rike Tape), 1981
Multiple/24, VHS auf DVD, 12’, Zeichnung auf Papier
Courtesy: der Künstler

Gyula Pauer

Protestschilderwald, 1978
In-situ Adaptation der 1978 vernichteten Intervention im öffentlichen Raum 127 Kunststofftafeln mit Text in verschiedenen, den ursprünglichen Formaten entsprechenden Größen.
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Der 1978 realisierte Protestschilderwald, bestehend aus 127 Holztafeln mit ambivalenten Parolen, war als imaginäre Demonstration in einer ländlichen Umgebung konzipiert. Die Tafeln wurden in einer plastisch und topografisch strukturierten Anordnung auf einer ca. 400 m2 großen Fläche aufgestellt. Doch das fertige Werk existierte nur einen Tag lang, dann wurde es von den Behörden zerstört. Die Fotografien von Pauer, die kurz vor seiner Flucht vom Schauplatz entstanden, sind die einzigen Dokumente, die eine Gesamtansicht der Arbeit zeigen.

Marx-Lenin, 1971
Klappkarte, Reprint




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