Raumplan für "Flechtwerke und Fliehkräfte", Platino, 2012
Platino, Extern 83, 1989/99, Courtesy: Platino
Platino, Extern 90.1, 1994/1999, Courtesy: Platino
Platino, Extern 110.1, 1997/2001, Courtesy: Platino
Platino, Extern 129.1, 1988/2011, Courtesy: Platino
Platino, Extern 130.2, 1988/2011, Courtesy: Platino
Platino, Extern 160.1, 1988/2012, Courtesy: Platino
Platino, External 54, 1991
Platino, Extern 56.3, 1990/2011, Courtesy: Platino
Platino, Extern 73.1, 1997, Courtesy: Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung
Ausstellungsansicht, Platino. "In Touch", Städtische Galerie Ostfildern im Stadthaus, 2011
Ausstellungsansicht, Platino. "Nahdistanzen", Staatsgalerie Stuttgart, 2000

Platino. Flechtwerke und Fliehkräfte

PLATINOS KÜNSTLERISCHE PRAXIS

„Die Frage ist nicht, wer die Künste fördern wird, sondern welche Formen möglich sind, bei denen die Künstler die Kontrolle über ihre eigenen Ausdrucksmittel besitzen, und zwar dergestalt, dass sie in einer Beziehung zu einer Gesellschaft und nicht zu einem Markt oder Förderer stehen.“
Raymond Williams

Red Space 1
1979 beginnt Platino mit der Gestaltung seines ersten Space, dem Red Space 1 in der Stuttgarter Olgastraße. Während der nächsten sieben Jahre wird er diesen Ort als einen privat-öffentlichen Lebens-, Arbeits- und Ausstellungsraum erschließen und ihn dabei beständig transformieren. Das Projekt besteht darin, sukzessive alle Elemente dieses Raums – Wände, Böden, Decken, Türen, Fenster et cetera – sowie die sich darin befindlichen und auf das Wesentliche reduzierten Dinge des täglichen Gebrauchs in verschiedenen Rottönen einzufärben. Ein öffentlich zugänglicher Raum entsteht, der die Wahrnehmung und Orientierung in erheblichem Maße irritiert. Im Verlauf der sieben Jahre wird die Gesamtsituation durch Eingriffe immer wieder verschoben. So kommen beispielsweise von Platino geschaffene Objekte hinzu, die sich zwischen Form und Formlosigkeit, dem Zweckmäßigen und Unnützen, Kunst und Nicht-Kunst situieren.
 
Space 2 und Space 3
1985 nimmt Platino an einem anderen Standort in Stuttgart die Arbeit am Red Space 2 auf. Das Projekt wird durch die Initiative Red Space 2 finanziert, eine Art Crowdfunding avant la lettre, das die Erschließung des neuen Raums, den Transfer des alten in den neuen Space sowie die Grundfinanzierung der ersten umfangreicheren Produktion der so genannten Externs – fotografische Interpretationen der Spaces – ermöglicht. Der neue Raum wird bis 2003 fortgesetzt, ab 1991 allerdings nur noch unter der Bezeichnung Space 2, da sich Platino seither in seiner Bearbeitung von Räumen nicht mehr auf die Farbe Rot beschränkt. Seit 2003 arbeitet er schließlich im und am Space 3.

Space 2 und Space 3 folgen im Wesentlichen offenen, ebenso systematischen wie intuitiven Prozessen der Freilegung und Neugestaltung räumlicher Strukturen. Einbauten wie Türen und Wände, Verblendungen von Rohren, Kabelsträngen und anderen Versorgungselementen werden dabei entfernt und das darunter Liegende neu gefasst, indem zum Beispiel offene Rohrleitungen mit mehreren Schichten aus Textilien, Leimen, Grundierungen und Lacken umhüllt werden. Dies dient sowohl der ästhetischen Umdeutung als auch der bautechnischen Wärmeisolierung.

Es handelt sich um einen steten, gleichermaßen archäologischen wie anatomischen Prozess der Freilegung, Hervorhebung, Sicherung und Versiegelung des Vorgefundenen – sowie dessen Verwerfung und Neubearbeitung. Mehr noch als beim Red Space 1 sind Space 2 und Space 3 zirkulär, als Schleifen eines unabschließbaren Prozesses der Reformulierung angelegt.

Platinos Spaces lassen sich als radikal entgrenzte Malereien begreifen, die den zeitlichen wie physikalischen Rahmen des Bildes buchstäblich aufsprengen. Ebenso buchstäblich befindet sich der Betrachter hier im Bild, er bewegt sich durch dieses Bild hindurch, das zugleich Handlungsraum des privaten und öffentlichen Lebens ist: ein Gefüge, in dem sich Kunstwerk, Atelier, Galerie und Wohnraum – aber auch Kunst und Nicht-Kunst, Ordnung und Kontingenz – überlagern.

In ihrer Performativität und Flüchtigkeit wiedersetzen sich die Spaces den Konventionen des Museums, der Verwertung durch den Kunstmarkt – insbesondere in den boomenden 1980er-Jahren – aber auch den standardisierten Wohnkonzepten, die der Neubau-Boom desselben Jahrzehnts im großen Stil hervorbringt. Sie richten sich gegen das Ideal jener klinischen Reinheit, die den White Cube ebenso charakterisiert wie die modernistische Wohnzelle.

Externs
Platinos Spaces sind an den Ort ihres Entstehens gebunden, da sie Orte eines permanenten Werdens sind. Ab 1982 entwickelt er eine Methode zur Übersetzung der Spaces in das Format der Fotografie –  die sogenannten Externs. Dabei handelt es sich um Fotografien, die stark fragmentierte An-, Auf-, Unter- oder Seitenansichten der Spaces – oftmals aus einer schrägen Perspektive mit geradezu barock anmutenden Raumfaltungen – zeigen. Die monochromen Externs, die schwerpunktmäßig dem Red Space 1 entstammen, geben meist erst auf den zweiten Blick räumliche Elemente zu erkennen, so als müssten sich die Augen erst an das überbordende Rot gewöhnen. Insgesamt sind die Externs von einer starken Flächigkeit geprägt, die jedoch immer zugleich ins Dreidimensionale und Plastische zu kippen droht – und umgekehrt. Die fragmentierten Raumansichten funktionieren nicht als Pars pro toto, das auf ein imaginäres Ganzes verweisen würde, sondern führen unwiederbringlich aus den Spaces hinaus.

Raumgefüge
Im Rahmen von Ausstellungen werden die Externs nach bestimmten, die vorhandene räumliche Situation sowohl im dialogischen als auch widerstreitenden Sinne aufgreifenden Kriterien arrangiert: Mal hängen sie in verschiedenen Rhythmen an den Wänden, mal sind sie dort nur angelehnt, mal liegen sie auf dem Boden, sind in Raumübergängen platziert oder werden gar hinter Treppengeländern verborgen. Für die Präsentation der Externs entwickelt Platino zudem meist eine Reihe von monochromen Malereien bzw. Wandmalereien aus Farbfeldern, die das gesamte Setting miteinander verbinden und zugleich Brüche darin einbauen. 2000 wurden die Externs wiederum im Rahmen von Platinos Einzelausstellung in der Stuttgarter Staatsgalerie im Dialog mit aber auch als Störfaktoren der dortigen Sammlung platziert.

Da die Externs – allesamt mit Acrylglas verbundene Cibachrome-Abzüge – stark reflektierende Oberflächen aufweisen, spiegeln sich der Betrachter und sein räumliches Umfeld unweigerlich darin. Wie in den Spaces selbst gerät er buchstäblich ins Bild – genauer in einen Zwischenraum, in dem sich Bildraum und gespiegelter Raum überlagern. Man tritt in gewisser Weise wie Alice im Wunderland durch den Spiegel hindurch.

Die Externs, die Fragmente und Augenblicke aus den Spaces externalisieren, werden mit jeder Ausstellung zu immer neuen und immer nur temporären Gefügen verwoben. Zwischen dem „ursprünglichen“ und „externalisierten“ sowie von „externem“ zu „externem“ Ort des Geschehens wird dabei ein konstanter Prozess der De- und Rekontextualisierung – bzw. der De- und Reterritorialisierung in Gang gesetzt.


BIOGRAFIE
 
Platino, 1948 geboren in Öhringen

1967–1969 Studium der Philosophie, Universität Tübingen
1970–1976 Studium der Malerei und Bildhauerei, Staatliche Akademie der Schönen Künste, Stuttgart
1979–1986 Lebt und arbeitet im/am RED SPACE 1, Stuttgart
1980–1982 Farbräume in privaten und öffentlichen Gebäuden
1982 Erste EXTERNs
1984 BesucherInnen des RED SPACE 1 bilden die Initiative RED SPACE 2 zur Unterstützung der Arbeit
1985 Erste Einzelpräsentation der EXTERNs, ARCO Madrid, Galerie Mayer & Mayer, Stuttgart
1986–2003 lebt und arbeitet im/am RED SPACE 2, Stuttgart
ab 1989 Installationen der EXTERNs im Ausstellungskontext
ab 1994 Farbinterventionen und Wandmalerei in privaten und öffentlichen Gebäuden
seit 2003 lebt und arbeitet im/am SPACE 3, Stuttgart
seit 2004 EXTERNs aus SPACE 3
2007–2009 Künstlerische Farbgestaltung des Bahnhofareal Horgen, CH
 
Ausgewählte Einzelausstellungen
1990
Extern at Villa Arson, Centre National d’Art Contemporain, Nizza [Katalog]
1992
Platino, Zuger Kunstgesellschaft, Kunsthaus Zug [Katalog]
1993
Platino, Westfälischer Kunstverein Münster [Katalog]
2000
Platino. Nahdistanzen, Staatsgalerie Stuttgart [Katalog]
2001
Externs. Photographs by Platino, Goethe-Institut New York
Platino. Inside Up. Raum / Malerei, Sammlung Domnick, Nürtingen [Katalog]
Platino ... aus dem Raum für den Raum, Projektreihe der Malerwerkstätten Heinrich Schmid GmbH & Co.KG, Schloß Monrepos, Ludwigsburg [Katalog]
2002
Platino. Au-Delà, Kulturwissenschaftliches Institut, Essen
2007
Platino. Y, Zeppelin Museum und Kunstverein Friedrichshafen [Katalog]
2011
Platino. In Touch, Städtische Galerie Ostfildern im Stadthaus
2012
Platino, Galerie der Stadt Tuttlingen [Katalog]
 
Ausgewählte Gruppenausstellungen

1978
Variations of Art World Hype II. The Artist/Family, Felluss Gallery, Washington D.C.
1981
Junge Kunst aus Westdeutschland '81, Galerie Max Ulrich Hetzler, Stuttgart [Katalog]
1989
Le magasin l’école l’exposition, Centre National d’Art Contemporain, Grenoble [Katalog]
1990
Photo. Kunst. Arbeiten aus 150 Jahren, Graphische Sammlung, Staatsgalerie Stuttgart [Katalog]
1992
Skulpturen, Fragmente. Internationale Fotoarbeiten der 90er Jahre, Wiener Sezession [Katalog]
Carambolage. Biennale der Partnerregionen I, Staatliche Kunsthalle Baden-Baden [Katalog]
1993
Kunst um Kunst, Kunsthalle Bielefeld [Katalog]
1995
Das Abenteuer der Malerei, Württembergischer Kunstverein Stuttgart, Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf [Katalog]
1998
2 ou 3 choses que je sais d’elle. L’hypothèse du tableau volé, MAMCO, Genf
Photographie. Ready, Mate, Kunstverein Arnsberg
2008
Wollust. The presence of absence, Columbus Art Foundation, Leipzig
2009
CELLA. Strukturen der Ausgrenzung und Disziplinierung, Complesso Monumentale di San Michele a Ripa, Ex Casa di Correzione di Carlo Fontana, Rom
2012
CRACKED. WHITE. OPEN, Galerie Jochen Hempel, Berlin

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