Geste,

Fototaube, aus: COLOR LAB CLUB, 2007-heute, Courtesy: Die Künstlerin
Dominik, Empty Pictures 5, 2013, Sprühfarbe auf Wand, M35, Luzern, Courtesy: Der Künstler
Dominik, Empty Pictures 3, 2013, Sprühfarbe auf Wand, Die Bedürfnisanstalt, Hamburg, Courtesy: Der Künstler
Dominik, Empty Pictures 6, 2013, Sprühfarbe auf Wand, Boutique, Köln, Courtesy: Der Künstler
David Hinton, Snow, 2003, Courtesy: Illuminations, London
Geumhyung Jeong, Record Stop Play, 2011, Courtesy: Die Künstlerin
Auguste und Louis Lumière, Dans Serpentine, 1896, Courtesy: Association frères Lumière, Paris
Bruce McLean, Drumstick, 2012, Courtesy: Der Künstler und Tanya Leighton Gallery, Berlin
Georges Méliès, Un homme de tête, 1989, Courtesy: Lobsterfilms, Paris
Gérard Miller / Suzanne Hommel, Rendez-vous chez Lacan, 2012, Courtesy: Morgane Production, Neuilly sur Seine
Karen Mirza & Brad Butler, Hold Your Ground, 2012, Courtesy: Waterside Contemporary, London
Banu Narciso, Ohne Titel, 2014, Courtesy: Die Künstlerin
Vangelis Vlahos, "1981" (Allagi), 2007 (Detail)
Marianne Wex, „Weibliche“ und „männliche“ Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse, 1979, Courtesy: Die Künstlerin

WERKE IN DER AUSSTELLUNG

Courtesy, wenn nicht anders vermerkt: Die KünstlerInnen;
Texte, wenn nicht anders vermerkt: Iris Dressler

Laura Bielau (*1981, lebt in Berlin)
Color Lab Club, 2007–heute
Courtesy: Fototaube, 2007; Man Ray, 2007; Labor, 2007: Niedersächsische Sparkassenstiftung, Hannover

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Laura Bielau untersucht in dieser Fotoserie die Beziehungen zwischen den Produktionsräumen und -anordnungen der Fotografie und Körperposen. Schauplatz ist dabei unter anderem das Labor, das zur Kulisse für erotisch aufgeladene Akte in klassischen Pin-Up-Posen und für perfekt arrangierte Stillleben aus dem Standardinventar einer Dunkelkammer gerät. Körper und Objekte sind hier gleichermaßen für die Kamera in Position gebracht, scheren aber auch aus den zitierten Klischees aus: etwa wenn die Modelle mit den Gerätschaften aus dem Labor interagieren.

Leigh Bowery / Cerith Wyn Evans 
(L.B.: *1961 in Sunshine, Australien, gest. 1994 in London; C. W. E.: *1958 in Llanelli, lebt in London)
Leigh Bowery. Tape Two Day One, 1988
Videodokumentation einer Performance, ohne Ton, ca. 50 Min.
Copyright: Cerith Wyn Evans
Courtesy: Gary Carsley und Estate of Leigh Bowery
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Die von Cerith Wyn Evans gefilmte Videodokumentation ist im Rahmen von Leigh Bowerys Performance 1988 in der Londoner Anthony d’Offay Gallery entstanden. Während der fünftägigen Performance (11.-15. Oktober) trat Bowery täglich für einige Stunden und in immer anderen Kostümen in einem Raum mit Récamière-Sofa auf. Eine schaufenstergroße verspiegelte Glasscheibe trennte ihn dabei vom Publikum. Während dieses ihn durch die Galsscheibe beobachten konnte, sah Bowery selbst nur sein Spiegelbild. Die knapp einstündige ungeschnittene Videodokumentation – das zweite Band des ersten Tages – schafft eine intime, nahezu realzeitliche Situation von nüchterner bis melancholischer Atmosphäre. Bowery verändert seine Posen vor, hinter und auf dem Sofa nur minimal, taucht zuweilen auch im Dunkeln ab. Die Kamera antwortet darauf ihrerseits mit einer ebenso unaufgeregten wie beständigen Reformulierung der Einstellung, rückt Bowery immer wieder neu ins Bild. 

DOMINIK (*1981 in Oberkirch lebt in Stuttgart und Neapel)
Ohne Titel, 2014
Sprühfarbe auf Wand
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Die raumgreifenden Wandbilder von DOMINIK bewegen sich an der Grenze zwischen Graffiti-Tags und Kalligraphie, Poesie und Parole, Sprache und Stottern, Sinn und Nonsens. Sie führen das „Sich-Nicht-Zurecht-Finden“ in der Sprache ebenso buchstäblich wie auf physischer Ebene vor.

Margit Emmrich (*1949, lebt in Leipzig)
Die Zeit dazwischen. Dokumente zur Pubertät, 1973-1974 / 2011-2012
16teilige Fotoserie (8 Paare), je 20 x 13 cm
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Margit Emmrich untersucht in dieser Arbeit die Selbstinszenierung von Jugendlichen an der Schwelle zwischen Kindheit und Pubertät. Ausgangspunkt ist ein Experiment, das sie in den 1970er-Jahren in einer Leipziger Schule durchführte. Dabei lud sie eine Gruppe SchülerInnen zu zwei Fototerminen ein, die im Abstand von einem Jahr stattfanden. Bei beiden Terminen sollten sich die SchülerInnen an einer bestimmten markierten Stelle vor der Kamera selbst darstellen. Emmrich hat den Raum während des Akts des Fotografierens, den die Kinder / Jugendlichen per Selbstauslöser in Gang setzten, verlassen. Fast 40 Jahre später, 2011 und 2012, führte Emmrich dieses Experiment mit Jugendlichen derselben Schule und vielleicht sogar im selben Klassenzimmer erneut durch. 

Lutz Förster (*1953, lebt in Wuppertal)
The Man I Love (in: Nelken, 1982, von Pina Bausch)
Videodokumentation eines Tanzsolos, Ausschnitt (2‘ 23‘‘) aus dem Film Un jour Pina m‘a demandé (1983) von Chantal Akerman, Courtesy: INA Mediapro, Paris
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In seinem Solo in Pina Bauschs Stück Nelken (1982) führt Lutz Förster eine gebärdensprachlich-tänzerische Adaption von George Gershwins Lied The man I Love auf. Während das Lied, gesungen von Sophie Tucker, aus dem Off ertönt, interpretiert er es durch die Gestik seiner Hände, begleitet von seinen Lippenbewegungen. 

Till Gathmann (lebt in Berlin und Wien)
A Dream Comes True, 2008 und A/B/V (für Institut), 2014
Mehrteilige Installation aus einem Video (HD-Video, 16 min) und drei Tischobjekten
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Das Projekt basiert auf einer Recherche zum Leben und Werk des in Wien geborenen, heute nahezu unbekannten Laienschriftforschers Alfred Kallir. Die fundamentalen Umbrüche der 1930er-Jahre führten den leitenden Angestellten eines tschechischen Stahlkonzerns nach London. Dort wurde er durch Zufall 1941 Zeuge, wie Winston Churchill seine berühmt gewordene Geste des Victory-Zeichens machte: ein Erlebnis, das er als einen „Erweckungsmoment“ empfand. „Erst später“, so schrieb er, „verstand ich, (…) dass ich Opfer des Einbruchs von Ursymbolen aus dem ‚kollektiven Unbewußten’ in mein persönliches Unterbewusstsein gewesen sein muss.“ Von diesem „Einbruch“ an widmete er sich der laienhaften Erforschung der Bildhaftigkeit von Buchstabenformen und publizierte vorläufige Ergebnisse 1961 in dem Buch Sign and Design. The Psychogenetic Source of the Alphabet. Seine Forschungen blieben unabgeschlossen. Ein Ziel des Projektes, das bislang unter anderem die Videoarbeit eines fiktiven Fernsehinterviews mit Kallir im TV-Stil der 1960er-Jahre und eine Performance umfasst, ist die Gestaltung eines Buchs. Im Rahmen der Ausstellung entstehen drei Tischobjekte und wird das erwähnte Video gezeigt.

Douglas Gordon (*1966, lebt in Berlin und Glasgow)
10 ms-1, 1994
Videoskulptur
Courtesy: Collection British Council, London
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Douglas Gordons Videoinstallation 10 ms-1 – die Formel, mit der man die Geschwindigkeit berechnet, mit der ein Gegenstand nach den Gesetzen der Schwerkraft zu Boden fällt – beruht auf wissenschaftlichem Stummfilmmaterial aus der Zeit des Ersten Weltkriegs. Zu sehen ist ein Mann, der sich, nur mit Unterhose bekleidet, in einem kargen Raum befindet. Nach wenigen unbeholfenen Schritten fällt er zu Boden. Sein Bemühen, wieder auf die Beine zu kommen, scheitert kläglich. Gordon hat diese kurze Szene zu einem Loop verarbeitet: Immer wieder versucht der Mann aufzustehen, doch er schafft es nie. Die Szene erscheint außerdem in Slow Motion. Da der Mann einen physisch eher athletischen Eindruck hinterlässt, liegt die Vermutung nahe, er stehe unter dem Einfluss eines Schocks, einer Kriegsneurose, von Nervengas oder Drogen. Es könnte sich aber auch um einen Schauspieler halten, der ein Symptom lediglich für wissenschaftliche Zwecke nachstellt. Das Video wird auf eine frei am Boden stehende Leinwand projiziert und erhält so ein Moment der Schwebe.

David Hinton (GB)
Snow, 2003
Video, 6 Min.
David Hinton in Zusammenarbeit mit Rosemary Lee, Courtesy: Illuminations, London
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Snow ist eine Komposition aus historischen Filmfragmenten der 1890er- bis 1960er-Jahren, die Menschen im Schnee, bei Glatteis und anderen widrigen Wetterumständen zwischen Tanz und Taumeln, elegantem Gleiten und Slapstick beobachten.

Geumhyung Jeong (*1980 in Seoul, lebt in Seoul)
Record, Stop, Play, 2011
Video, 8 Min.
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Das Video kreist um das Wechselspiel und die Überlagerungen zwischen einem gefilmten animierten Objekt und den Aufnahmen, die dieses Objekt selbst produziert: ein Puppenkopf, der über eine Kamera mit Stativ gestülpt ist, deren Objektiv aus einer Puppenaugenhöhle hervorlugt. Und immer wieder taucht die Dritte im Bunde auf: die mit dem Objekt / der Kamera hantierende Künstlerin. Rhythmisiert durch das Surren der Kamera, oszilliert der Film zwischen den verschiedenen Blick- und zeitlichen Ebenen von Aufnahme und Wiedergabe, Filmendem und Gefilmtem, Arrangierendem und Arrangiertem.

Gülsün Karamustafa (*1946, lebt in Istanbul)
The Monument and the Child, 2011
Video, Fotocollage
Courtesy: Die Künstlerin, RAMPA Istanbul und British Pathé, London (Video)
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Die Videoarbeit und Fotocollage sind Teil einer Gesamtinstallation mit dem Titel The Monument and the Child. Die Collage geht auf eine Fotografie zurück, die der Vater der Künstlerin von dieser als Kind gemacht hat. Sie zeigt das Mädchen in einer körperlichen Interaktion mit einem Monument in Ankara, das in den 1930er-Jahren unter Mustafa Kemal Atatürk errichtet wurde. „Als Kind“, so die Künstlerin, „wuchs ich unter dem enormen Druck, den dieses ‚Denkmal des Vertrauens’, wie man das Monument nannte, auf mich ausübte, auf. Das Mädchen auf dem Foto deutet an, die riesige Statue mit ihren bloßen Händen fortzuschieben. In einer spielerischen Geste verkehrt sie die Kräfteverhältnisse.
Die Videoarbeit wiederum basiert auf einem Dokument des britischen Medienarchivs British Pathé: einem 1931 produzierten Film über ein Wunderkind. Der berührende Ausschnitt, den die Künstlerin zu einer Endlosschleife zusammengefügt hat, zeigt ein kleines Mädchen, das auf einer Bühne versucht, entlang eines auf dem Boden aufgezeichneten Kreises zu tanzen. Der Tanz wirkt dabei mehr wie ein verzweifeltes Taumeln, bei dem das Kind dem Kreis wie in einem Bann zu folgen versucht und zugleich immer wieder ausschert. Die „geglückten“ Bewegungen erscheinen dagegen wie eine ungewollte clowneske Karikatur des Tanzens selbst.

Auguste und Louis Lumière
(A.L.: *1862 in Besançon, gest. 1954 in Lyon; L.L.: *1864 in Besançon, gest. 1948 in Bandol, Var)
Dans Serpentine, 1896 
Video, 0,42 Min.
Courtesy: Association frères Lumière, Paris
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In einem der ersten Filme der Brüder Lumière ist auf einer kargen Bühne der sogenannte Schlangen-Tanz der Tänzerin und Choreografin Loïe Fuller zu sehen. Neben Isadora Duncan und Ruth St. Denis zählt Fuller zu den Begründerinnen des modernen Tanzes. Der Schlangen-Tanz, der hier nicht von Fuller selbst, sondern von einer unbekannten Tänzerin aufgeführt wird, folgt keiner Erzählung oder Handlung mehr. Stattdessen geht es um das Zusammenspiel zwischen Bewegung, einem ausladenden und mit Drähten versehenen Gewand sowie Lichteffekten. Durch die Geschwindigkeit der Drehung wird der Körper in einem konstanten Wirbel, in einer Art Endlosschleife geradezu zum Verschwinden gebracht. Die Bühnensituation erinnert an die Versuchsanordnungen der frühen fotografischen und filmischen Bewegungsstudien. Um die Licht- und Farbeffekte der Inszenierungen von Fuller, die auf der Bühne mit Spiegeln, Licht und anderen technischen Mitteln experimentierte, zu vermitteln, wurde der Film per Hand koloriert.

Bruce McLean (*1944, lebt in London)
Drumstick, 2012
Videoperformance mit Bruce McLean und Adam de la Cour, 16:56 Min.
Courtesy: Der Künstler und Tanya Leighton Gallery, Berlin
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Die Videoperformance Drumstick führt auf geradezu buchstäbliche Weise die Probleme der Kommunikation, das sich „Nicht-Zurecht-Finden in der Sprache“ des Menschen auf: jenes Unvermögen zu sprechen, das, so der italienische Philosoph Giorgio Agamben, von der Geste überspielt wird. Endlose Textbänder werden durch die Münder von Pappkameraden gezogen, die alle drei das Gesicht des Künstlers tragen. Überlagert wird die Performance von einer an Newsticker erinnernden Untertitelung sowie einem Zusammenschnitt von Bauchrednerstimmen aus verschiedenen Filmen, die Adam de la Cour für diese Arbei reinszenierte. Den Rhythmus gibt ein gleichbleibendes monotones Trommelstück vor.

Georges Méliès (*1861 in Paris, gest. 1938 in Paris)
Un homme de tête, 1989
Film auf DVD, 1:04 Min.
Courtesy: Lobsterfilms, Paris
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Georges Méliès, Varieté- und Zauberkünstler, Theaterbesitzer und Pionier des Attraktionskinos, hat, wie es die Legende will, durch eine Fehlfunktion der Kamera den Stopp-Trick erfunden mit dem er Personen und Dinge verschwinden lassen konnte. Während sich ein traditioneller Magier doppelter Böden und einer Reihe gestischer Ablenkungsmanöver bedient, beruht das Handwerk des kinematografischen Zauberers auf Schnitt, Doppelbelichtung und Modellaufnahmen. Dennoch ahmt Méliès in seinen gefilmten Zauberstückchen die Gesten des herkömmlichen Magiers nach. In Un homme de tête vervielfältigt er seinen eigenen Kopf, indem er sich diesen mehrfach vom Körper reist, wobei der Kopf immer wieder wie aus dem Nichts nachwächst – bis sie im Quartett gemeinsam musizieren können. In gewisser Weise führt der kopflose Méliès – eher ein homme 100 têtes – die Mechanik des Films geradezu buchstäblich vor. Sie ähnelt jener der Guillotine, deren Fallbeil in so hoher Geschwindigkeit den Kopf vom Rumpf trennt, dass der Schnitt für das menschliche Auge unsichtbar wird. 

Gérard Miller / Suzanne Hommel
(G.M.: *1948, lebt in Frankreich)
Rendez-vous chez Lacan, 2012
Videoauszug, 1:02 Min.
Courtesy: Morgane Production, Neuilly sur Seine
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Mit rauer, flüsternder Stimme schildert Suzanne Hommel in Gérard Millers Dokumentarfilm Rendez-vous chez Lacan (2012) eine Sitzung mit dem französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan. Nachdem sie diesem erzählt hatte, dass sie jeden Morgen um fünf Uhr aufwachen würde, nämlich zu jener Uhrzeit, als während des Nationalsozialismus die Gestapo die Juden holen kam, sei dieser aufgesprungen und habe ihr auf außerordentlich zärtliche Weise die Wange gestreichelt. Diese Berührung, die sie auch nach 40 Jahren noch immer spüren könne, habe zwar nicht ihr Leiden verringert, aber einen entscheidenden Wandel herbeigeführt. Hommel habe sie als Geste, als „geste à peau“, eine „Geste auf der Haut“ verstanden. Aus der Gestapo ist die „geste à peau“ geworden, ein, wie sie sagt, „Apell an die Menschlichkeit.“

Karen Mirza und Brad Butler (London)
Hold Your Ground, 2012
HD Video, 7’ 57’’
Im Auftrag von Film and Video Umbrella, Courtesy: Waterside Contemporary, London
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Die Videoinstallation Hold Your Ground ist Teil einer längeren Filmarbeit, die Karen Mirza und Brad Butler gemeinsam mit dem Autor China Miéville entwickelt haben. Sie ist von einem Pamphlet inspiriert, das die beiden KünstlerInnen in Kairo während des „Arabischen Frühlings“ fanden. Es enthielt Handlungsanweisungen für prodemokratische Demonstranten und war mit der Frage „Wie kann ich intelligent protestieren?“ übertitelt. Die Arbeit analysiert die „Semantiken“ der Masse und den daraus resultierenden „Sprechakt.“ Sie entstand im Frühjahr 2012 für den öffentlichen Raum – konkret für die Canary Wharf Tube Station – als Protest gegen das Versammlungsverbot im Londoner Bankendistrikt Canary Wharf.

Banu Narciso (*1972 in der Türkei, lebt in Genf, Nyon und Zürich)
Ohne Titel, 2014
Kohle und Pastell auf Papier, 173 x 98 cm
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Die Zeichnung von Banu Narciso zeigt ein Porträt oder eine Maske, die lediglich aus Haaren, aus einer dichten Frisur besteht, als würde sich ein Gesicht dahinter verbergen. Als zeichenhafter Verweis auf das Porträt und auf weibliche Identität, führen die minutiös dargestellten Haare und Locken aber auch ein Eigenleben, werden zur Landschaft oder Höhle, zu einem Dickicht oder Vorhang.

Tibor Szemö (*1955 in Budapest, lebt in Budapest)
Invisible Story, 2009
Video, ca. 20 Min.
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Die Videoarbeit basiert auf der Montage verschiedener Lehrfilme aus der DDR zu Sport und Naturwissenschaften. Beim Sport geht es um das Eintrainieren optimaler Bewegungsabläufe, die in mehreren Wiederholungen, mal in Realzeit, mal in Zeitlupe, mal durch Grafiken unterstützt, gezeigt werden. Die naturwissenschaftlichen Filmfragmente bestehen wiederum im Wesentlichen aus grafischen Visualisierungen und Simulationen abstrakter chemischer Prozesse oder physikalischer Abläufe. Auf der Tonebene sind verschiedene Musikstücke zu hören, die der Musiker und Filmemacher Tibor Szemzö zu dem poetischen Text Unsichtbare Geschichte (1943) des ungarischen Schriftstellers Béla Hamvas (1897–1968) komponiert hat. Zudem enthält die Tonebene Auszüge aus diesem Text, der um die Beziehungen zwischen diesseitigen und jenseitigen Kräften, Vergangenheit und Zukunft  kreist.

Vangelis Vlahos (* 1971 in Athen, lebt in Athen)
“1981” (Allagi), 2007
6 aus 22 Tafeln, jeweils 75 x 105 cm
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Das aus insgesamt 22 Tafeln bestehende Projekt “1981” (Allagi) versteht sich als eine kritische Relektüre der ersten neun Monate der Regierung der Sozialistischen Partei Griechenlands (PASOK) im Jahr 1981, also direkt nach dem Ende der Diktatur: Eine Relektüre, die entlang politischer, gesellschaftlicher und kultureller Gesten in den Medien vollzogen wird. Die Collagen setzen sich aus Fotos und Nachrichtenbildern zusammen, die aus dem Archiv der rechten Zeitung Eleftheros Kosmos (Freie Welt) stammen. Sie geben das Material in chronologischer Reihenfolge wie ein Kalender wieder. Trotz bzw. gerade wegen dieser strengen Ordnung ergibt sich eine eigenwillige zufällige Erzählung. Das griechische Wort „allagi“ bedeutet Wandel. Es war das zentrale Schlagwort der PASOK im Wahlkampf 1981. Vangelis Vlahos möchte die Mehrdeutigkeit dieses Begriffs in seiner Arbeit reflektieren. Die Ausstellung zeigt eine Auswahl von 6 Tafeln, die Beginn und Ende des behandelten Zeitraums in den Blick nimmt.

Maja Vukoje (*1969, lebt in Wien)
10 Divas, 2009
7 aus einer Serie von 10 Malereien, diverse Größen, Mischtechnik
Courtesy: Verschiedene Privatsammlungen; Galerie Martin Janda, Wien
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Die Malerei-Serie widmet sich verschiedenen legendären Soul- und Bolero-Sängerinnen, darunter Diana Ross und Nancy Sinatra, die vor einem leeren Hintergrund posieren. Mal sind sie als ganze Figur, mal als Porträt, mal im Close-Up dargestellt. Die Künstlerin nimmt dabei insbesondere die Gesten, Haltungen und Mode sowie diverse Pathosformeln in den Blick. Manche Posen scheinen dabei leicht überdehnt, bei allem Glamour wirken die Diven eher körperlos, sind fast geisterhaft durchscheinend, manchmal nur Augen, manchmal nur Hände und Gesicht.

80DD, 2013; Untitled, 2012; Untitled, 2013
Malerei, div. Maße, Acryl und Glitter auf Leinwand
Courtesy: Verschiedene Privatsammlungen; Galerie Martin Janda, Wien
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Weiblichkeit, Glamour und Showbizz werden in dieser Malerei-Serie auf die zentralen Fetischobjekte und Elemente der Körperformung reduziert: High-Heels, Hut und Büstenhalter. Zeichenhaft wurden sie auf die rohe Leinwand gemalt, wobei ihr Fetischcharakter zugleich durch Glitter überhöht wird.

Anita Witek (lebt in Wien
Before and After, 2003
Diainstallation mit 3 Projektionen
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Anita Witek untersucht in Before and After die Geschichte der Dispositive der Fotografie entlang des Motivs von Fotostudios. Hierzu hat sie hunderte Bilder von den Anfängen der Fotografie bis heute zusammengetragen, die die Grundlage der Arbeit bilden. Sie zeigen unterschiedlichste Anordnungen und Settings, die von opulenten Szenarien bis zu kargen Zellen reichen. Sie lassen vielsagende Rückschlüsse bezüglich des Posings und der körperlichen Verfasstheit innerhalb dieser Settings zu sowie hinsichtlich der Beziehung von Modell und FotografIn. Es sind Bilder von „fotografischen Tatorten“ (Witek), die in der Regel im Verborgenen bleiben, aber erheblich auf die Fotografien einwirken. Es geht Witek um das Potenzial des Nicht-Sichtbaren, um das, was in jedem Foto zu sehen wäre, würde die Fotografin / der Fotograf nur ein paar Schritte zurücktreten. Die Installation, deren Anordnung sich in jeder Ausstellung verändert, besteht in Stuttgart aus drei synchronisierten Diaprojektionen.

Marianne Wex (* 1937 in Hamburg, lebt in Höhr-Grenzhausen)
„Weibliche“ und „männliche“ Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse, 1979
Bücher, Prints
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In ihrem großangelegten Projekt „Weibliche“ und „männliche“ Körpersprache als Folge patriarchalischer Machtverhältnisse, das zwischen 1972 und 1977 entstand, untersucht Marianne Wex anhand von über 5.000 Fotografien die geschlechtlichen Einschreibungen in Gesten und Körperhaltungen. Neben den eigenen Fotostudien, die sie zu diesem Thema auf den Straßen Hamburgs machte, umfasst ihre Sammlung auch umfangreiches vorgefundenes Bildmaterial, das einen weiten historischen Bogen spannt. Die Bilder wurden auf Tafeln gemeinsam mit Texten montiert und nach verschiedenen Kriterien sortiert: Arm- und Handhaltungen,  Beine und Füße, Kopf und Schultern etc. In den verschiedenen Reihen tauchen gleichermaßen Fotos von anonymen Passanten, Prominenten oder kulturgeschichtlichen Objekten auf: also von mehr oder weniger bewusst posierenden Figuren. In den Bildreihungen dominieren die sich ähnelnden Körperhaltungen, so dass die Bilder auf paradoxe Weise zwar wie Einzelbilder eines Films wirken, aber eines Films ohne Bewegung. Absicht ist es ganz offenbar, Muster und Stereotypen herauszuarbeiten, denen aber immer wieder auch Ausnahmen gegenübergestellt werden. Alle Bilder sind nummeriert, bei den bekannten Personen wird der Name angegeben und bei Found Footage die Quelle. Neben den Tafeln hat Wex auch ein Buch herausgegeben, das den Strukturen der Tafeln im Wesentlichen folgt. Die Ausstellung zeigt das Buch sowie einige Auszüge aus den Tafeln.

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