Irgendetwas im Raum entzieht sich unseren Versuchen des Überfliegens

Ester Vonplon
Samuel Beckett, Quadrat I und II
Selia Kameric

EINFÜHRUNG

Vom 22. Februar bis 4. Mai 2014 zeigt der Württembergische Kunstverein die Ausstellung Irgendetwas im Raum entzieht sich unseren Versuchen des Überfliegens, deren Titel von dem französischen Philosophen und Wahrnehmungstheoretiker Maurice Merleau-Ponty entliehen wurde. Das Projekt kreist um verschiedene Aspekte des vielfach gefalteten Themas Raum. Es zeigt dazu Arbeiten von neunzehn internationalen KünstlerInnen der 1970er-Jahre bis heute, die Raum auf höchst unterschiedliche Weise verhandeln. Allgemeine Phänomene der Wahrnehmung von Raum spielen dabei ebenso eine Rolle, wie die sozialen, politischen, imaginären oder ästhetischen Konstruktionen des Raums.

Neben ikonischen Werken wie Juan Downeys raumgreifende Videoinstallation Video Trans Americas, die erstmals in Deutschland komplett zu sehen ist, oder Samuel Becketts Fernsehspiel "Quadrat I und II", zeigt die Ausstellung Werke junger KünstlerInnen wie Ester Vonplon, die in ihren eindrücklichen Schwarzweiß-Fotografien die Lebensräume einer Roma Familie untersucht, oder das Duo Mona Vatamanu & Florin Tudor, das die Politiken und Poetiken des Raums zwischen Spiel und Verteilungskämpfen auslotet.

Überlegungen
Raum scheint uns das Vertrauteste zu sein, was uns umgibt. Weder würden wir in Zweifel ziehen, dass Raum das bezeichnet, wo wir uns befinden, noch könnten wir uns irgendeinen Anderen oder ein Anderes ohne Raum vorstellen. Aber welche Übereinkunft führt dazu, dass wir uns gemeinsam in einem Raum vorstellen, ihn gemeinsam bewohnen? Ist Raum teilbar? Die Ausstellung setzt an diesen und weiteren Fragen und Überlegungen an.

Was bedeutet es zum Beispiel, dass Raum eine Reihe von (sozialen, ästhetischen, politischen, technischen, physischen, mentalen …) Vereinbarungen voraussetzt, von denen wir immer nur Ausschnitte überschauen können – weil sich „irgendetwas im Raum unseren Versuchen des Überfliegens“ widersetzt? Dennoch ist Raum beschreibbar als ein System von Ereignissen und Interaktionen sozialer Akteure. Er ist begreifbar als etwas, das wir produzieren und von dem wir produziert werden. So wird unser Verhältnis zum Raum auch durch Ordnungen, Rituale und Gesetze geregelt.

Die administrative, technokratische und kartografische Erfassung der Welt scheint längst zu einer natürlichen Abbildung der Wirklichkeit mutiert zu sein. Was diese Techniken verbergen, ist ihre ideologische Gerichtetheit und damit ihre Funktion für Prozesse des Ein- und Ausschlusses, der Ausbildung von territorialen Vormachtstellungen und Rechtsräumen wie zum Beispiel Nationalstaaten. Raum und seine Abbildung sind somit zugleich ein Feld des politischen Widerstreits, in dem es wesentlich um die Besetzung des Sichtbaren geht und somit auch um das Raumgreifen ästhetischer Praktiken und Aneignungen zwischen utopischem Entwurf, Imagination, Fiktion, Poesie und Begehren.

Die Ausstellung
Die Werke der Ausstellung bewegen sich in einer Bandbreite, die von grundsätzlichen Fragen zum Phänomen Raum – etwa zur Relativität von Raum und Zeit wie in Bill Spinhoven van Oostens verblüffender Raum-Zeit-Maschine Its About Time oder in Olga Chernyshevas endlosen Passagen durch Zugabteile – reicht, bis zu politischen Kontexten, wie die Annektierung von Raum als Grundmotiv der Staatenbildung. Hierauf spielen beispielsweise Šejla Kameric und Manuela Ribadeneira in ihren bissig-ironischen Wandobjekten aus Pullover und Klappmesser an.

Andere KünstlerInnen machen sich die scheinbar objektiven Methoden der wissenschaftlichen Raumerfassung (Diagramm, Karte etc.) zu Eigen, um diese einer radikalen Subjektivierung zu unterziehen. Das Spektrum reicht dabei von der Entwicklung subjektiver Diagramme (Ricardo Basbaum) über kollektiv hergestellte Traumkarten (Susan Hiller) bis zu einer ins Groteske gesteigerten kartografischen Erfassung der „Achse des Bösen“ (Charbel Ackermann).
 
Raum wird von den KünstlerInnen immer wieder als ein durch soziale Kontrolle geprägter, in administrative hierarchische Zonen zerlegter oder durch geopolitische Vormachtstellungen dominierter Raum verhandelt. Mehrere Arbeiten greifen dabei die Widersprüche und Konflikte von marginalisierten Lebensräumen wie etwa die von Obdachlosen (Francis Alÿs), Staatenlosen (Ester Vonplon) oder queere Lebensräume (Peggy Buth) auf. Dabei geht es um das Paradox, dass deren Mikrostrukturen zwar zum einen Schutz, Identität und Heimat bieten, durch ihre Sichtbarkeit als marginalisierte Zonen aber zugleich gewalttätigen Übergriffen ausgeliefert sind.

Der Verlust des Rechts auf Raum wird in der Ausstellung anhand politischer Systemwechsel, der neokapitalistischen Stadtentwicklung oder durch die raum-zeitliche Verdrängung von Traditionen thematisiert. In mehreren Werken klingen überdies Motive der Reise an, die jenseits eines folkloristischen Dokumentarismus als Odysseen zwischen Räumen, Zeiten, Kulturen, politischen Manifestationen und mythologischen Projektionen verhandelt werden.

Für die Ausstellung wird ein offener, mehrschichtiger Parcours entwickelt, der sich, dem Titel der Ausstellung folgend, den Versuchen des Überfliegens entzieht.

Werkbeschreibungen …

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