JORGE RIBALTA. Monumentmaschine

WERKE IN DER AUSSTELLUNG
Courtesy, wenn nicht anders vermerkt: Der Künstler
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Petit Grand Tour. Tarragona, 29 agosto – 6 octubre 2007
(Petit Grand Tour. Tarragona, 29. August – 6. Oktober), 2007
51 Silbergelatineabzüge, gerahmt 50 x 50 cm, Siebdrucktext auf Passepartout
Sammlung Banco de España, Madrid
Hergestellt mit Unterstützung von Caixa Tarragona
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Die Serie Petit Grand Tour entstand 2007 in Tarragona, einer historisch bis in die römische Antike zurückreichenden spanischen Stadt, die etwa 100 km südlich von Barcelona liegt. Aufgrund ihrer archäologisch bedeutsamen Ruinen und Ausgrabungsstätten wurde sie im Jahr 2000 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt.
Ribalta untersucht die verschiedenen Aktivitäten und Schauplätze der Produktion von Geschichte in dieser von antiken und antikisierenden Referenzen überfrachteten Stadt: Aktivitäten und Schauplätze, die von den Relikten der römischen Kultur über Museen, Restaurierungs- und Ausgrabungsarbeiten bis hin zu Aufführungen des römischen Alltagslebens durch LaienschauspielerInnen und eine touristische Denkmalroute reichen.
Die Serie selbst greift das Motiv der Denkmalroute auf und verweist dabei nicht nur auf die modernistische Straßenfotografie, sondern parodiert zugleich die Tradition der „Grand Tours“, jener seit der Renaissance üblichen Bildungsreisen des europäischen Adels und gehobenen Bürgertums, die noch Figuren wie Goethe, Stendhal oder Flaubert zu den Ruinen Italiens und des östlichen Mittelmeerraumes führten. Diese „Grand Tours“ waren nicht zuletzt die Wegbereiter der diversen, mit der Fotografie einhergehenden Projekte zur Erfassung nationaler Kulturgüter wie die Mission Héliographique.

Carnac, 1 agosto 2008 (Carnac, 1. August 2008), 2008
15 Silbergelatineabzüge, gerahmt 20 x 25 cm, weiße Holzrahmen
Sammlung Banco de España, Madrid
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Carnac, 1. August 2008 folgt einer Führung durch die prähistorischen Megalithanlagen in Carnac.

Laocoonte Salvaje (Unbezähmter Laokoon), 2010-11
200 Silbergelatineabzüge, Maße variierend (von 13 x 18 cm bis 30 x 40 cm), gerahmt 50 x 50 cm, Siebdrucktext auf Passepartout
Sammlung Helga de Alvear, Cáceres
Hergestellt mit Unterstützung von Cajasol Obra Social, Sevilla

Feigenkaktus

Unbezähmter Laokoon.
Wie bist du schön
im Licht des halben Mondes!
Vielfacher Pelotari.
Wie bist du schön,
wenn du dem Winde dräust!
Daphne und Attis
verstehen deinen Schmerz.
Nimmer erklärbar.
(Federico García Lorca, 1931)
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Die nach einem Gedicht von Federico García Lorca (aus Poema del Cante Jondo, 1931) benannte Serie widmet sich einem Sinnbild und Stereotyp schlechthin der spanischen Kultur: dem Flamenco, der in der heutigen gängigen Form eine französische Erfindung des 19. Jahrhunderts (von Prosper Mérimée bis Édouard Manet) darstellt und bekanntlich auf Kulturen der Roma bzw. Kalé beruht.
Flamenco, der bezeichnender Weise 2010 von der UNESCO als Weltkulturerbe deklariert wurde, fungiert jedoch nicht nur als Emblem und touristische Marke einer konstruierten nationalen Volks- und Folklorekunst Spaniens, sondern steht auch in Opposition zur herrschenden Kultur – im Sinne einer subalternen und widerständigen ästhetischen Praxis und Lebensform. Ribaltas Serie geht dieser Ambivalenz nach. Sie untersucht Orte, Situationen und Aktivitäten, an denen sich die historischen, ökonomischen, sozialen, administrativen und politischen Strukturen des Flamencos in Spanien zeigen. Es sind Orte, die dem Flamenco dabei vor allem im Kontext der zeitgenössischen Kulturindustrie folgen.

Scrambling, 2011
78 Silbergelatineabzüge, gerahmt 30 x 35 cm, einige Passepartouts mit Siebdrucktext, Wandtext 
Hergestellt mit Unterstützung der Universidad de Navarra, Pamplona
Courtesy angelsbarcelona gallery, Barcelona
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Die Serie Scrambling, deren Titel auf Charles Cliffords 1864 veröffentlichten Touristenführer A Photographic Scramble through Spain anspielt, setzt sich mit einer der meistbesuchten europäischen Kulturstätten, der Alhambra in Granada auseinander. Maßgeblich durch die Zeit der muslimisch-maurischen Nasridenherrscher geprägt, gilt sie dennoch als Ikone der spanischen Kultur. Cliffords Touristenführer hat bei dieser Entwicklung keine unwesentliche Rolle gespielt.
Ribaltas Fotografien von der Alhambra entstanden im Verlauf einer Woche im Frühjahr 2011– das heißt genau in jener Jahreszeit, die Clifford für einen Besuch der Anlage empfiehlt. Die in zehn Gruppen aufgeteilte Serie zeigt Bilder aus dem Archiv der Alhambra, Aufnahmen des Torre del Vino und seiner Umgebung, die Sicherheitssysteme, Porträts von Angestellten, Gartenarbeiten, das Bewässerungssystem, Gipswerkstätten, den Löwenhof, den Besucherempfang und Marketingmaßnahmen. Es geht um die diversen Bereiche des (administrativen, denkmalpflegerischen, technischen, edukativen und ökonomischen) Betriebs dieses auf Massentourismus ausgerichteten Kulturdenkmals. Die eigentlichen Attraktionen treten in den Hintergrund, sind kaum auszumachen – was auch daran liegt, dass der Löwenhof, das Highlight der Alhambra, zum Zeitpunkt von Ribaltas Aufnahmen wegen Sanierungsarbeiten am Hydrauliksystem im Umbau befindlich war. Das Zentrum der Kulturstätte erscheint wie ein geöffneter, zur Sektion freigegebener Organismus.
Den Auftakt der Serie macht ein Bild des Torre del Vino, das nicht aus Ribaltas Hand, sondern von Clifford stammt und überdies aus einer der jüngeren Standardschriften zur Fotografie, Roland Barthes Die Helle Kammer, abfotografiert wurde. Barthes grenzt Cliffords Fotografie deutlich vom touristischen Bild ab, das auf die Bereisbarkeit von Orten abzielt, während Cliffords Aufnahme dazu einlädt, den dargestellten Ort zu bewohnen.

„Was es auch sei …, mich verlangt danach, dort unten zu leben, in edler Erlesenheit – und dieser Wunsch nach Erlesenheit wird vom touristischen Foto niemals befriedigt. Für mich müssen Fotografien von Landschaften (urbanen oder ländlichen) bewohnbar sein, nicht bereisbar.“ (Roland Barthes)

Imperio (o K.D.) [Imperium (oder K.D.)], 2013-14
196 Abzüge, Rahmen aus weißem Aluminium in drei Formaten: 50 x 60 cm, 30 x 36 cm und 18 x 20 cm, Wandtexte
Hergestellt mit Unterstützung des Centro José Guerrero-Diputación de Granada, und der Fundación Helga de Alvear, Granada und Cáceres
Courtesy Galerie Casa sin Fin gallery, Madrid
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Die umfangreiche Serie Imperium (oder K.D.) kreist um die Abdankung, den Rückzug und Tod von Karl V. (1500–1558), dem einst – als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation und König des spanischen Weltreichs – mächtigsten Herrscher der Welt.
Seine Krönung zum spanischen König markiert den Beginn der habsburgischen Hegemonie in Europa, die zu permanenten Konflikten mit der französischen Valois-Dynastie führte. Seine Herrschaft über das Heilige Römische Reich fiel in die Zeit der Reformation, gegen die er erbittert kämpfte. Mit dem Augsburger Frieden musste er 1555 jedoch die lutheranisch-evangelische Religion offiziell anerkennen. Resigniert dankte er ab. Die Kaiserwürde trat er an seinen Bruder Ferdinand I. und den spanischen Thron an seinen Sohn Philipp II. ab. Er zog sich auf das Kloster Yuste in der Extremadura zurück, wo er 1558 starb. Seine Leiche wurde zunächst in Yuste, später dann in den Königlichen Gräbern des (von seinem Sohn errichteten) Escorial in Madrid beigesetzt.
Ribaltas umfangreiches Fotoprojekt entstand an diversen Orten, die mit dem Leben und Nachleben Karl V. verbunden sind. Die Serie ist wie ein Theaterstück in drei Akte mit jeweils zwei bis drei Szenen strukturiert.
Der erste Akt führt uns zum Kloster von Yuste, dem letzten Refugium Karl V., und beginnt in der ersten Szene mit einem Spaziergang durch den Wald hin zu dem erhöht liegenden Anwesen mit seiner Kirche, den Konventsgebäuden, dem zweigeschossigen Kreuzgang und dem Palast des zurückgetretenen Königs. Diese werden in der zweiten Szene von Außen in den Blick genommen bzw. fungieren selbst als Aussichtspunkte. Die dritte Szene führt uns schließlich in das Innere der Gebäude und fokussiert persönliche Objekte des Herrschers, wie seine Sänfte, Bücher oder einige Gemälde von Tizian.
Der aus zwei Szenen bestehende zweite Akt beginnt zunächst mit Ansichten von Cuacos de Yuste, insbesondere vom deutschen Soldatenfriedhof und von der Plaza de España, wobei Ribalta dabei auch Ikonen der Fotografiegeschichte zitiert, wie Ansel Adams berühmtes Bild Moonrize, Hernandez, New Mexico oder Charles Cliffords Ansicht des besagten Platzes.
Die zweite Szene führt uns nach Brüssel, wo Ribalta unterschiedliche Phänotypen des Gedenkens bzw. der Gendenkindustrie ins Visier nimmt: von Biermarken, die nach „Keizer Karel“ benannt sind, über die Ruinen der Aula Magna, in der der Kaiser am 25. Oktober 1555 seine berühmte Abdankungsrede hielt, bis zu Bildern des sogenannten Ommegangs, einer Touristenattraktion, bei der Scharen von Freiwilligen ein historisches Ereignis nachspielen. Es handelt sich dabei um das Reenactment einer Prozession, die 1549 zu Ehren von Karl V. und seinem Sohn Philippe II. in Brüssel stattfand.
Der ebenfalls aus zwei Szenen bestehende dritte Akt referiert schließlich auf die Höhepunkte der Regentschaft Karl V. Während sich die erste Szene dabei auf bildliche Darstellungen von Krönungsfeierlichkeiten, Schlachten, Feldzügen, Friedensverträgen und dergleichen bezieht, führt uns die zweite Szene vor allem an die Orte der längst vergangenen Ereignisse und nimmt deren heutige Nutzung in den Blick. So erscheint der Palast Karl V., den dieser in einer Geste des Triumpfes über das Osmanische Reich in der Alhambra errichten ließ, als Kulisse für die Aufführung einer Oper im Rahmen eines Musikfestivals. Ansichten von Cateau-Cambrésis und Lens, wo die letzten Feldzüge des Kaisers stattfanden, zeigen Touristenattraktionen wie das Matisse Museum, das sich im Palais Fénélon befindet in dessen Gärten einst jener Palast stand, in dem der Frieden von Cateau-Cambrésis zwischen den Habsburgern und dem Haus Valois unterzeichnet wurde, oder den Louvre-Lens. Dem Prinzip des Franchise-Museums entsprechend zeigt diese Szene überdies eine Reihe von Produkten, die mit dem Namen oder Konterfei Karls V. vermarket werden: Neben Belgischem Bier auch mexikanische Schokolade, Brandy aus Jerez oder Paprika aus der Extremadura.
Im Louvre-Lens, der 2012 am Standort einer ehemaligen Kohlemine der Region Nord-Pas-de-Calais eröffnet wurde, nähert sich Ribalta einem historischen Porträt Anton Fuggers, jenes berühmten Bankiers von Karl V., und spannt so einen Bogen zwischen dem prä- und postindustriellen Kapitalismus.
In gewisser Weise stellt das Projekt Imperium (oder K.D.) ein Scharnier zwischen den Serien Scrambling und Renaissance dar: Indem es zum einen in die Alhambra zurückkehrt und zum anderen  bereits auf die Auseinandersetzung mit dem „industriellen Wandel im Bergbaurevier von Nord-Pas-de-Calais“, wie es im Untertitel zu Renaissance heißt, verweist.

Renaissance. Scenes de la reconversion industrielle au bassin minier du Nord-Pas de Calais (Szenen des industriellen Wandels im Bergbaurevier von Nord-Pas de Calais), 2014
176 Abzüge, gerahmt 30 x 36 cm, weiße Holzrahmen, Wandtext und separater Text
Hergestellt mit Unterstützung des Centre Régional de la Photographie Nord-Pas de Calais, Douchy-les-Mines
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Tatsächlich beginnt die Serie Renaissance. Szenen des industriellen Wandels im Bergbaurevier von Nord-Pas-de-Calais (2014) mit einem weiteren Blick auf das Porträt von Anton Fugger im Louvre-Lens.
Die Serie untersucht den Strukturwandel in Nordfrankreich von der Schwer- hin zur Kultur- und Freizeitindustrie mit Euralille als symbolischem Zentrum. Nach dem Modell des Ruhrgebietes wurden ausgediente Zechen und ähnliche Anlagen zu Industriedenkmälern und Museen umfunktioniert. Die Region wurde überdies zum UNESCO Weltkulturerbe erklärt – ein Etikett, das längst selbst ein Franchise-Modell darstellt. Jüngstes Projekt des Wandels ist denn auch die Eröffnung des Louvre-Lens. Der Titel der Serie zitiert aus einer Selbstdarstellung dieses Hauses als “Galionsfigur einer Bergbauregion, die eine Renaissance erlebt.“
Die Serie ist in acht Szenen unterteil, die nicht starr voneinander getrennt, sondern in unterschiedlichen Konstellationen zueinander angeordnet sind. Die ersten drei Szenen untersuchen diverse historische Kontexte der Region, die von den Konflikten zwischen den Habsburgern und dem Geschlecht der Valois im 16. Jahrhundert bis zum Spanischen Erbfolgekrieg im 18. Jahrhundert reichen, aber auch die Entwicklung der Fotografie und schließlich die Geschichte des Bergbaus selbst betreffen. Eine „kleine Geschichte der Fotografie“ wird entlang von Louis-Désiré Blanquart-Évrard, dem Gründer des ersten Fotoverlags (Imprimerie Photographique, 1851-1855), sowie von Fotografieinstitutionen, die im Geiste der sozial-demokratischen Kulturpolitik der 1980er-Jahre entstanden, oder des Le Fresnoy in Lille, einem Zentrum für digitale Kultur und Aushängeschild der Kreativindustrie der 1990er-Jahre, erzählt. Der Geschichte des Bergbaus nähert sich Ribalta wiederum über die diversen Drehorte des 1934 erschienenen Dokumentarfilms Misère au Borinage von Joris Ivens und Henri Storck, der den schlechten Lebensbedingungen der Bergarbeiter von Borinage, einer Grenzregion zwischen Nordfrankreich und Walonien, nachgeht. Dem damaligen Elend der ausgebeuteten BergarbeiterInnen stellt Ribalta dabei die Situation der prekär Beschäftigten in der Kreativindustrie gegenüber.
Drei weitere Szenen nehmen an Hand verschiedener Beispiele die Musealisierung der Region in den Blick. Dabei geht es nicht nur um die Transformation ehemaliger Industrieanlagen zu Kulturdenkmälern und Stätten der Kreativwirtschaft, sondern auch um die neuen administrativen Gefüge – bestehend aus lokalen, nationalen und europäischen Strukturen der öffentlichen Verwaltung einerseits und neoliberalen Modellen der public-private partnership andererseits –, die mit dem Wandel einhergegangen sind.
Die letzten beiden Szenen widmen sich schließlich den Themen Ökonomie und Freizeit. Ribalta interessiert dabei zum einen das Nebeneinander von alten und neuen Industrien und zum anderen die Überformung einstiger Arbeitsstätten als Orte des Spektakels und Konsums.
Renaissance  wurde erstmals im Centre Régional de la Photographie in Nord-Pas-de-Calais gezeigt, das auch Gegenstand der Serie ist.

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