Zbynek Baladrán, "Models of the Universe", 2009, Courtesy: der Künstler
Matthew Buckingham, "Muhheakantuck. Everything Has a Name", 2003, Courtesy: der Künstler, Daniel Marzona, Berlin und Murray Guy, New York
Annalisa Cannito, aus "Contesting Europe Corporate Hypocrisy #2", 2015 (historisches Notizbuch "Mare Nostrum"), Courtesy: die Künstlerin
Annalisa Cannito, "Life Saver", 2015, Courtesy: die Künstlerin
Annalisa Cannito, "Life Saver", 2015 (historische Postkarte), Courtesy: die Künstlerin
Annalisa Cannito, "Intervention in Spaces of Amnesia #2", 2015, Courtesy: die Künstlerin
Annalisa Cannito, "In the Belly of Fascism and Colonialim #2", 2015 , Courtesy: die Künstlerin
Chen Chieh-jen, "The Route", 2006, Courtesy: der Künstler
Zoe Leonard, "August 4, frame 9", 2011–12, © die Künstlerin, Courtesy: Galerie Gisela Capitain, Köln
Zoe Leonard, "August 6, frame 7", 2011–12, © die Künstlerin, Courtesy: Galerie Gisela Capitain, Köln
Mehreen Murtaza, aus der Serie "The Dubious Birth of Geography", 2012, Courtesy: die Künstlerin und Grey Noise, Dubai
Mehreen Murtaza, aus der Serie "The Dubious Birth of Geography", 2012, Courtesy: die Künstlerin und Grey Noise, Dubai
Jean Painlevé, "Hyas et sténorinques", 1928, Courtesy: Les Documents Cinématographiques, Paris
Jean Painlevé, "Les Amours de la pieuvre", 1965, Courtesy: Les Documents Cinématographiques, Paris
Julia Rometti & Victor Costales, aus "The Savagery of the Inconstant Stones", 2013, Courtesy: die KünstlerInnen und Galerie Jousse Entreprise, Paris
Quinn Latimer, "A Stone for Victor and Julia (and Its Shadow)", 2013, Courtesy: die Künstlerin
Cristian Rusu, "The Alpine Project", 2007–2015, Courtesy: Plan B, Cluj und Berlin

Ein Loch im Meer

WERKE IN DER AUSSTELLUNG
Courtesy, wenn nicht anders vermerkt: Die KünstlerInnen

// Zbynek Baladrán
geb. 1973 in Prag, lebt in Prag

Models of the Universe (Weltmodelle), 2009
Videoessay, Farbe, Ton, 2', Loop
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Zbynek Baladrán bedient sich Ordnungssystemen wie Karten, Diagrammen und Formeln, die auf die ideologische Programmatik allumfassender Weltmodelle verweisen. Sein Videoessay Models of the Universe ist als Gedächtnisskizze angelegt, in der er eine Ausstellung als Weltmodell entwirft. Das immer gleiche Hintergrundbild, das durch seine logisch anmutende Geometrie (Mittelpunkt, Flächenschnitte, Kreisanschnitt, Diagonalen et cetera) an die Grundparameter des euklidischen Raums erinnert, wird überzeichnet mit Fließdiagrammen, Organigrammen, architektonischen Anordnungen, Labyrinthen, organischen Umrissen, dem Alphabet oder der Anlage einer archäologischen Ausgrabungsstätte. Diese werden wiederum Kategorien wie Gesellschaft, Verfassung, neuronale Netze, Mathematik, Bibliothek oder Geschichte zugeordnet. Für jeden neuen Entwurf verschwindet der zuvor verfasste. So endet das Video auch mit dem Satz „to be continued“ (Fortsetzung folgt). In dieser Unabschließbarkeit erscheint das Weltmodel nicht mehr totalitär, sondern als endlose Variable von Möglichkeiten. 

// George Brecht
geb. 1926 in New York City; gest. 2008 in Köln

Void Pebble (Void-Kieselstein), 1985
Kieselstein mit eingravierter Inschrift „VOID“, A 31/88, Durchmesser 12-16 cm
Courtesy: Museum Ostwall im Dortmunder U, Dortmund
© George Brecht, VG Bild-Kunst, Bonn 2016
Foto: Jürgen Spiler, Dortmund
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George Brecht, einer der frühen und zentralen Akteure der Fluxus-Bewegung, der nachhaltig vom Zen-Buddhismus beeinflusst war, betrachtete seine künstlerische Arbeit als Forschung, in deren Mittelpunkt Experiment, Zufall und Paradoxie stehen. Das in Void Pebble in einen Kieselstein eingravierte englische Wort „Void“ (Leere, Entleerung) steht im direkten Widerspruch zur dichten Masse des Steins. Dichte und Leere, Materielles und Immaterielles, Schwerkraft und Ephemeres, Bezeichnetes und Bezeichnendes geraten in einen unauflösbaren Konflikt der gegenseitigen Aufhebung. Wobei der Begriff „Leere“ zugleich in seiner Bedeutung von einer gewissen Größe und Schwere ist, die wiederum von der Kleinheit des Steins konterkariert wird.
Eine größere Variante dieses Objektes entstand im Rahmen der Skulptur-Projekte 87 in Münster.

// Matthew Buckingham
geb. 1963 in Nevada, lebt in New York City

Muhheakantuck. Everything Has a Name (Alles hat einen Namen), 2003
16-mm-Film, Ton, Farbe, 40’, Loop
Courtesy: der Künstler, Daniel Marzona, Berlin und Murray Guy, New York
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Die Arbeit besteht aus zwei nacheinander projizierten Luftaufnahmen entlang des Hudson Rivers, die einmal in Richtung Norden und das andere Mal in Richtung Süden gefilmt wurden. Die ursprüngliche Farbe der Aufnahmen wurde durch einen starken Magenta-Ton ersetzt, der den Bildern ihre Natürlichkeit nimmt. Ein Stimme aus dem Off berichtet über die kurze, aber verhängnisvolle Begegnung zwischen den Lenni-Lenape, das heißt den indigenen BewohnerInnen des unteren Hudson-River-Tals, und den Repräsentanten der niederländischen Westindien-Kompanie. Die Lenape nannten den Fluss Muhheakantuck, was übersetzt soviel wie „der Fluss, der in zwei Richtungen fließt“ bedeutet. Sind die Praktiken der Geschichtsschreibung und Kartografie ausreichend, um einen solchen Fluss und sein Tal als Raum und Ort zu beschreiben? Muhheakantuck. Everything Has a Name stellt diese beiden miteinander verbundenen Repräsentationsmodi – historische Narration und geografische Kartierung – einander gegenüber, um beides zu problematisieren. (Matthew Buckingham)

// Annalisa Cannito
geb. 1984 in Acqui Terme

Contesting Europe Corporate Hypocrisy #2 (Gegen die europäische geschäftsmäßige Heuchelei #2), 2015
Videocollage, historisches Notizbuch („Mare Nostrum“, Unser Meer)
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Annalisa Cannito stellt in ihren Rauminstallationen, die sowohl aus eigenen Objekten als auch historischen Materialien bestehen, vielschichtige Beziehungen zwischen den aktuellen Flüchtlingspolitiken in Europa und dem europäischen Kolonialismus und Faschismus her. 
Die Videoarbeit Contesting Europe Corporate Hypocrisy #2 zeigt eine Videocollage aus TV-Nachrichten, die dem mehr oder weniger offenen Rassismus, wie er in der Berichterstattung über Flüchtlinge zu Tage tritt, in den Blick rückt. Sie wird erweitert durch ein Notizbuch aus der Zeit des italienischen Faschismus, dessen Umschlag das hegemoniale Konzept des Mittelmeers als (römisches bzw. italienisches) „Mare Nostrum“ propagiert

Life Saver (Lebensretter), 2015
Fotodokumentation einer Betonskulptur mit Goldfarbe und Seil; historische Postkarte („L’oro alla Patria“, Gold fürs Vaterland, 1935)
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Life Saver setzt einen aus Beton gegossenen, vergoldeten Rettungsring (hier präsent als Fotodokumentation) und eine historische Postkarte von 1935 in Beziehung zueinander. Letztere enthält die Losung „L'oro alla patria“, Gold für das Vaterland, mit der das faschistische Regime Benito Mussolinis zu Spenden aufrief. Ziel war es, den wirtschaftlichen Sanktionen, die Italien damals aufgrund seiner offenen Aggressionen gegen Äthiopien seitens des Völkerbunds auferlegt worden waren, entgegenzuwirken. Als Höhepunkt der Kampagne rief Mussolini den „Giornata della fede“ – den Tag der Hoffnung bzw. des Hochzeitsrings – aus, bei dem Gold und andere Wertgegenstände gesammelt wurden.
Der goldene Rettungsring lässt sich als Verweis auf die derzeitige zweischneidige Flüchtlingspolitik der Europäischen Union lesen, in deren Auftrag die Agentur Frontex militärische Aktionen unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe durchführt.

Intervention in Spaces of Amnesia #2 (Intervention in Räume der Amnesie, #2), 2015
Videoprojektion (Omar Mukhtar. Löwe der Wüste, Regie: Moustapha Akkad, 1981, 206’) auf Fotografie
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Die Videoinstallation Intervention in Spaces of Amnesia #2 setzt sich mit dem Fortleben faschistischer Kultstätten im heutigen Italien auseinander. Noch 2012 wurde in Affile, einer Gemeinde in der Metropole Rom, ein Mausoleum zu Ehren von Rodolfo Graziani errichtet, einem faschistischen Kriegsverbrecher, der in den 1920er- und 30er-Jahren entscheidend an der kolonialistischen Expansion Italiens in Nordafrika und insbesondere an der brutalen Niederschlagung des antikolonialen Widerstands in Libyen und Äthiopien beteiligt waren.
Cannito zeigt ein Foto des Mausoleums, auf das sie den Spielfilm Omar Mukhtar. Löwe der Wüste (Regie: Moustapha Akkad, 1981) in voller Länge projiziert. Der Film, der fast 30 Jahre lang in Italien zensiert wurde, kreist um die Verbrechen, die die italienische Armee von 1929 bis 1931 unter der Führung Grazianis in Libyen verübte – sowie den Widerstand dagegen, personifiziert durch den (von Anthony Quinn dargestellten) Kämpfer Umar al-Muchtar. Premierminister Giulio Andreotti rechtfertigte die Zensur des Filmes damals mit der Begründung, dass er die italienische Armee beleidigen würde.

In the Belly of Fascism and Colonialism #2 (Im Bauch des Faschismus und Kolonialismus), 2015
Fanzine, DIN A5, 12 Seiten, Schwarz-Weiß-Kopien

Cannitos Arbeiten in dieser Ausstellung sind Teil eines fortlaufenden Projektes mit dem Titel In the Belly of Fascism and Colonialism. Der in Form einer Fanzine veröffentlichte Text, den die BesucherInnen kostenlos mitnehmen können, gibt einen umfassenden Einblick in dieses Forschungsprojekt. „Mein Interesse“, wie die Künstlerin schreibt, „gilt einer Analyse der Geschichte von Faschismus und Kolonialismus, insbesondere im Hinblick auf Italien. Es geht darum, deren Verschränkung mit zeitgenössischen Formen von Kolonialität und Faschistisierung aufzuzeigen …“

// Chen Chieh-jen
geb. 1960 in Taiwan, lebt in Taiwan

The Route (Die Route), 2006
35-mm-Film auf DVD, Schwarz-Weiß, stumm, 16' 45''
Produziert im Rahmen der Liverpool Biennale
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In den 1980er-Jahren, während der Regierungszeit von Margaret Thatcher, wurden sämtliche britischen Häfen privatisiert. Die Unternehmen begannen gewerkschaftlich organisierte Arbeiter durch gewerkschaftslose Arbeitskräfte zu ersetzen. Im September 1995 entließ die Mersey Dock and Harbour Company in Liverpool überraschend zwanzig Hafenarbeiter. Daraufhin traten die übrigen 400 Arbeiter in Streik und lösten eine weltweite Welle des Widerstandes gegen die Privatisierung von Häfen aus. Im September 1997, zwei Jahre nach Beginn des Streiks, beluden Streikbrecher in Liverpool das Frachtschiff Neptune Jade, das nach Oakland in die Bucht von San Francisco gehen sollte. Von der internationalen Gewerkschaft ILWU (International Lengshore and Warehouse Union) über das Eintreffen der Neptune Jade informiert, traten die Hafenarbeiter in Oakland aus Solidarität ebenfalls in Streik und weigerten sich, die Ladung des Schiffes zu löschen. Diesem Widerstand schlossen sich weitere Arbeiter in den Häfen von Vancouver, Yokohama und Kobe an. Nachdem die Neptune Jade vergeblich Hafen um Hafen angesteuert hatte, ohne ihre Ladung löschen zu können, nahm sie am 17. Oktober 1997 schließlich Kurs auf den taiwanesischen Hafen Kaohsiung. Berichten zufolge wurden das Schiff und seine Ladung dort versteigert. Von der Neptune Jade hatten die Hafenarbeiter in Kaohsiung noch nie gehört, und auch Organisationen wie die ILWU waren ihnen unbekannt. Im August 2006, nachdem die Gewerkschaft der Hafenarbeiter von Kaohsiung von dem Vorfall mit der Neptune Jade erfahren hatte, willigte sie ein, sich an einer „Filmaktion“ zu beteiligen und eine symbolische Streiklinie aufzustellen. Die Arbeiter hoffen mit dieser Aktion am internationalen Widerstand der Hafenarbeiter teilhaben zu können und gemeinsam mit ihnen auf das Problem der Hafenprivatisierungen aufmerksam zu machen. (Auszug aus dem Film The Route, 2006)

// Tacita Dean
geb.1965 in Canterbury, lebt in Los Angeles und Berlin

The Green Ray (Das grüne Leuchten), 2001
16-mm-Film, Farbe, Stumm, 2’ 30’’, Loop
Courtesy: Marian Goodman Gallery, Frith Street Gallery, London
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Mit The Green Ray begibt sich Tacita Dean an die Grenzen der unmittelbaren wie medial vermittelten Wahrnehmung. Ausgangspunkt ist ein äußerst seltenes, nur an wenigen Orten der Erde zu sehendes und nur schwer technisch aufzuzeichnendes Naturphänomen, das sogenannte „grüne Leuchten“. Mit dem „grünen Leuchten“ wird jener Moment bezeichnet, in dem die Sonne aufgrund bestimmter Lichtbrechungen, kurz bevor sie am Horizont des Meeres verschwindet, für wenige Sekunden grün aufleuchtet. Die Künstlerin jagte diesem Phänomen an der Küste von Madagaskar mit einer 16-mm-Kamera nach. Tagelang beobachteten sie und einige andere Personen den Sonnenuntergang. Schließlich glaubte Dean, das grüne Leuchten gesehen zu haben, was die Videoaufzeichnungen der MitstreiterInnen, die nichts sahen, jedoch widerlegten. Erst als Dean den 16-mm-Film entwickelte, wurde sie gewahr, dass sie das grüne Leuchten womöglich doch gesehen hatte. „So wurde die Suche nach dem grünen Leuchten“ wie Dean schreibt, „ein Akt über das Sehen selbst, über das Vertrauen und den Glauben in das, was wir sehen. Der Film ist ein Dokument; er wurde zu einem Film, der von dem Stoff, Material und Herstellungsprozess des filmischen Verfahrens selbst handelt.“

// Barry Flanagan
geb. 1941 in Wales, gest. 2009 in Ibiza

A Hole in the Sea (Ein Loch im Meer), 1969
Video einer Landart-Aktion im Rahmen von Gerry Schums Fernsehgalerie
(Land Art. Fernsehausstellung I mit Richard Long, Barry Flanagan, Dennis Oppenheim, Robert Smithson, Marinus Boezem, Jan Dibbets und Walter de Maria)
Courtesy: Staatsgalerie Stuttgart
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1969 schuf der britische Konzeptkünstler Barry Flanagan für Gerry Schums Fernsehgalerie ein Loch im Meer. Bei Ebbe platzierte er einen Plexiglaszylinder ins Watt, den er bei steigender Flut von oben filmte. Für einen kurzen Moment entstand ein Loch im Meer – bis es sich in den Strömungen der Wassermassen wieder verlor.

// Sven Johne
geb. 1976 in Bergen auf Rügen, lebt in Berlin

Ship Cancellation, 2004
Serie aus 5 Farbfotografien, jeweils 100 x 150 cm, gerahmt, Siebdruck auf Glas
Courtesy: Privatsammlung, Berlin
© Sven Johne, VG Bild-Kunst, Bonn 2016
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Die Serie kombiniert unterschiedliche Aufnahmen des Meeres mit Berichten von Schiffsunglücken, die sich zwischen 1823 und 2000 an verschiedenen Orten der Welt ereigneten. Die auf den Rahmengläsern angebrachten Texte geben jeweils auf der Horizontlinie den Namen der betroffenen Schiffe und den exakten Ort ihrer jeweiligen Katastrophe an. Ein immer am rechten Bildrand orientierter Textblock enthält zudem eine knappe Information zur Art des Schiffes, zur (mutmaßlichen) Ursache des Unfalls sowie einen Augenzeugenbericht. Die Texte lesen sich zum einen wie die Erfolgsgeschichte des Schiffsbaus, die vom ersten Dampfschiff, das den Nordatlantik überquerte, bis zu den immer größeren, mit komplexer Elektronik ausgestatteten Containerschiffen reicht. Zum anderen steht diese Erfolgsgeschichte im krassen Widerspruch zu den angeführten Untergangsszenarien. Immer scheint es gerade das Versagen der neuesten Technik zu sein, die zum Unfall führt: das Überhitzen der Maschinen beim damals schnellsten Dampfschiff, ein ungesicherter Kran, Container, die das Schiff manövrierunfähig machen oder ein elektronsicher Fehler beim neuesten Navigationsgerät.
Ob die Meeresbilder jeweils den Ort zeigen, an dem das beschriebene Unglück stattfand, bleibt ebenso offen wie die Frage, ob es sich um wahre oder fiktive Erzählungen handelt.

// Zoe Leonard
geb. 1961 in Liberty, New York, lebt in New York City

Fotoserie
August 4, frame 9 (4. August, Einzelbild 9), 2011–12
Silber-Gelatine-Abzug, 60,3 x 23,8 cm, 1/6
August 6, frame 7 (6. August, Einzelbild 7), 2011–12
Silber-Gelatine-Abzug, 60,3 x 85,7 cm, 1/6
August 6, frame 19 (6. August, Einzelbild 19), 2011–12
Silber-Gelatine-Abzug, 69,5 x 49,2 cm, 1/6
August 6, frame 32 (6. August, Einzelbild 32), 2011–12
Silber-Gelatine-Abzug, 50,8 x 72,4 cm, 1/6
December 3, frame 3 (3. Dezember, Einzelbild 3), 2011–12
Silber-Gelatine-Abzug, 77 x 62,8 cm, 1/6
January 27, frame 8 (27. Januar, Einzelbild 8), 2012
Silber-Gelatine-Abzug, 92,7 x 75,9 cm, 1/6
February 27, frame 11 (27. Februar, Einzelbild 11), 2012
Silber-Gelatine-Abzug, 34 x 48,2 cm, 1/6
February 27, frame 17 (27. Februar, Einzelbild 17), 2012
Silber-Gelatine-Abzug, 27 x 19 cm, 1/6
February 27, frame 25 (27. Februar, Einzelbild 25), 2012
Silber-Gelatine-Abzug, 35,3 x 24,7 cm, 1/6
Alle: © die Künstlerin, Courtesy: Galerie Gisela Capitain, Köln
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Entgegen allen Regeln der Fotografie versuchte Zoe Leonard für diese Serie die Sonne zu fotografieren. Sie bewegte sich an die Grenzen dessen, was man mit einer Kamera noch aufnehmen oder auch nur mit dem bloßen Auge sehen kann – denn bekanntlich ist es wenig ratsam, direkt in die Sonne zu schauen. Die Sonne ist in den beinah monochromen weißen Fotografien kaum auszumachen. Manche weißen Punkte scheinen eher von einem Staubkorn, denn von einem Himmelskörper herzurühren. „Ich interessiere mich für die abstrakten Möglichkeiten von Fotografie“ so Leonard. „Indem ich ein Thema wähle, das unmöglich abzubilden ist, erkunde ich einen Weg der Darstellbarkeit von Blick, Erfahrung und dem eigentlichen Prozess von Wahrnehmung.“

// Pia Linz
geb. 1964 in Kronberg, lebt in Berlin

Georgium, Fremdenhaus, 2014–15
Bleistift auf Papier, 114 x 81 cm
Courtesy: Galerie Fahnemann, Berlin
© Pia Linz, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Schillerpromenade, 2007
Detailstudie, Bleistift auf Papier, 59,4 x 42 cm
Courtesy: Dr. Glasser
© Pia Linz, VG Bild-Kunst, Bonn 2016

Schillerpromenade, 2007–10
Bleistift auf Papier, 140,5 x 280 cm
Courtesy: Museum Folkwang, Essen
© Pia Linz, VG Bild-Kunst, Bonn 2016
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Pia Linz’ minutiös angefertigten multiperspektivischen Umgebungsstudien dekonstruieren die gewohnte Ordnung der Kartografie auf radikale Weise. Neben der zeichnerischen Erfassung von Raum in dessen Mehransichtigkeit, enthalten ihre Arbeiten auch Parameter wie Fußschrittskalen oder Notizen zu Geräuschen, Szenen, Gesprächen und anderen Dingen, die sie während der Arbeit beobachtete. Über ihre Arbeitsweise schreibt Linz: „Zunächst vermesse ich das gesamte Gelände mit Fußschritten und erarbeite anhand einer auf einem großen Papier entwickelten Fußschrittskala einen genauen Flächenplan. Auf transportablen Fragmenten des Planes notiere ich akribisch unmittelbar vor Ort meine Beobachtungen … Anschließend übertrage ich die Detailstudien in die Einheit der großen Zeichnung … Während die zahllosen Fußgängerperspektiven zu einer Art Vogelperspektive verschmelzen, wird die Parklandschaft in eine freischwebende Monade verwandelt, die nur durch feine Linien noch an die Fußschrittskala gebunden ist.“ 

// Hew Locke
geb. 1959 in Edinburgh, lebt in London

Sea Power (Seemacht), 2014
Wandarbeit aus Schnur, Plastikperlen, Heißkleber, Maße variabel
Entstanden im Rahmen der Kochi-Muziris Biennale
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Sea Power, eine mehrteilige Arbeit, die für die Kochi-Muziris Biennale in Indien entstand, besteht aus Schnur und Plastikperlen, die direkt an die Wand geklebt werden. Der Künstler schreibt über diese Arbeit: „Die Motive wirken ausgefranst und zerbrochen, als wären sie über die Jahre nur provisorisch geflickt worden … Die mythologische Anmutung hat, wie in all meinen Werken, direkt mit meinen Kindheitserfahrungen in Guyana in Südamerika zu tun. Volksgeschichten haben hier einen wichtigen kulturellen Stellenwert. Diese Erinnerungen habe ich mit historischen und zeitgenössischen Referenzen vermischt. Die Bilder verweisen auf zahlreiche Quellen, darunter römische Plastiken, europäische Druckgrafiken von fernen Handelsposten und Seekarten … Eines der dargestellten Schiffe ist Vasco da Gamas Schiff Sankt Gabriel. Der portugiesische Forscher da Gama, der als erster Europäer 1499 in Indien landete, ebnete den Weg für das Zeitalter des globalen Imperialismus und für eine langjährige koloniale Herrschaft der Portugiesen in Asien“. Der Pfeifenraucher, der aus einer Ansicht der Stadt Cochin von Pieter van der Aa stammt, „verweist auf das Opium-Monopol der Britischen Ostindien-Kompanie. Opium wurde später von den Briten in Indien angebaut und in China gehandelt – was Mitte des 19. Jahrhunderts zu den Opium-Kriegen führte.“ (Hew Locke)

// László Moholy-Nagy
geb. 1895 in Bácsborsód, Ungarn, gest. 1945 in Chicago

Impressionen vom alten Marseiller Hafen (Vieux Port), 1929
35-mm-Film auf DVD, Schwarz-Weiß, stumm, 9’
Courtesy: The Moholy-Nagy Foundation
© László Moholy-Nagy, VG Bild-Kunst, Bonn 2016
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Der ungarische Maler, Fotograf, Typograf und Bühnenbildner László Moholy-Nagy drehte im Sommer 1929 seinen ersten Film: Eine Dokumentation des alten Hafens von Marseille. Der Kurzfilm beginnt mit einem Loch, das in eine Karte von Marseille geschnitten wird – exakt dort, wo sich das Viertel rund um den alten Hafen befindet. Mittels Montage wird suggeriert, dass an die Stelle der abstrakten Karte der die Realität aufzeichnende Film tritt. Die Kamera beobachtet das geschäftige städtische Treiben: Verkehr, Handel, Arbeit und Freizeit. Bereits um 1900 hatte sich Marseille, als Ort der Sehnsucht nach dem Süden, zu einem beliebten Drehort des noch jungen Kinos etabliert. Moholy-Nagys Film sticht hervor, indem er gerade nicht auf Klischees des Exotischen abzielt, sondern die Zeichen modernistischer urbaner Errungenschaften mit dem Elend der Industrialisierung verschränkt. Zentrales Emblem der Moderne ist dabei, neben Automobilen und Straßenbahnen, die 1905 errichtete Auslegerbrücke und Schwebefähre Pont Transbordeur: eine monumentale Stahlkonstruktion mit Gondel, die in den 1940er-Jahren von deutschen Soldaten zerstört wurde. Im Kontrast zu den Bildern des technischen Fortschritts stehen Aufnahmen, die den Blick auf die von Dreck und fehlender Infrastruktur geprägten Armutsviertel legen.

// Mehreen Murtaza
geb. 1986 in Riad, Saudi-Arabien, lebt in Lahore, Pakistan

The Dubious Birth of Geography (Die fragwürdige Geburt der Geografie), 2012
Serie aus 15 Montagen, die auf historischen Fotografien basieren, Inkjet auf Hahnemühle, gerahmt
Courtesy: die Künstlerin und Grey Noise, Dubai
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Die aus 15 Digitaldrucken bestehende Serie The Dubious Birth of Geography basiert auf historischen Fotografien, die die Künstlerin im Internet fand und bearbeitete. Die Motive beziehen sich auf die geopolitischen Verschiebungen und ethnischen wie religiösen Konflikte im Mittleren Osten und in Afrika – insbesondere infolge des Zusammenbruchs des osmanischen Reiches zwischen 1917 und 1922 sowie des europäischen Kolonialismus und Faschismus.
Die Künstlerin fügte den Fotos fremde, meist an Landschaftsfragmente erinnernde Objekte hinzu, die den dokumentarischen Bildern einen surrealen Charakter verleihen.
Eine Luftaufnahme von 1930 des an die afrikanischen Staaten Tschad, Kamerun, Niger und Nigeria angrenzenden Tschadsees, der heute für eine Reihe von ökologischen Problemen und geopolitischen Konflikten steht, erhält mittels Montage ein paradoxes Loch.
Dem Foto vom zweiten Zionistischen Kongress, der 1898 in Basel stattfand, wurde eine frühe, der heutigen kartografischen Ordnung zuwiderlaufende Weltkarte appliziert, in der der arabische Raum dominiert. Sie verdeckt dabei den Protagonisten, den Redner und Begründer des modernen Zionismus: Theodor Herzl.
Die historischen Kontexte der Montagen reichen vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1930er Jahre des 20. Jahrhunderts. Sie beziehen sich auf umkämpfte Territorien, wie den Suezkanal, Gazastreifen und Jerusalem, oder Ereignisse wie das Massaker von Adana, das die türkische Regierung 1909 – im Vorfeld des großen Völkermords – an rund 20.000 Armeniern verübte.
Es tauchen Figuren wie Orson Welles auf, dessen 1938 erschienenes Hörspiel zu H.G. Wells berühmtem Buch Krieg der Welten – eine Anspielung auf den britischen Kolonialismus – für große Aufmerksamkeit sorgte, oder der Schweizer Paläontologe Amanz Gressly, der Ende des 19. Jahrhunderts die moderne Stratigraphie begründete: eine Methode zur Datierung von fossilführenden Sedimentgesteinen.
Eine Montage verweist auf die Entstehung der nach einer Schrift Theodor Herzls benannten Stadt Tel Aviv während der zweiten Alija (der jüdischen Einwanderung nach Palästina bzw. Israel), – zunächst noch als Vorort der Hafenstadt Jaffa. Sie basiert auf einem Foto von 1911, das Schiffe zeigt, die darauf warten, im Hafen von Jaffa Personen an Land bringen zu können.
Ein anderes Bild aus der Serie bezieht sich auf die Kämpfe zwischen den britischen und osmanischen Streitkräften während der sogenannten Palästinafront, einem Nebenkriegsschauplatz des 1. Weltkriegs, bei dem es um die Vormachtstellung auf der Sinai-Halbinsel ging. Das Bild zeigt türkische Fotografen, die die sogenannte Affaire of Huj, einen Kampf um Gaza im November 1917, dokumentieren. Als Sieger gingen damals die Briten hervor, die kurz darauf auch Jaffa und Jerusalem einnahmen.
Auf den Verlust Jerusalems für das osmanische Reich spielt ein weiteres Foto von 1917 an. Wie der Bildkommentar zuspitzt, hält es fest, wie die Türken zum letzten Mal ihre Flagge während der religiösen Feierlichkeiten in Nabi Musa hissen – einer der wichtigsten muslimischen Pilgerstätten, wo sich das Grab Mose befinden soll. 
Ein weiteres Motiv dokumentiert wiederum das Eintreffen des Kaisers von Äthiopien, Haile Selassie, 1936 in sein Exil Jerusalem – damals britisches Mandatsgebiet –, nachdem Mussolini Äthiopien als italienische Provinz annektiert hatte. Ein anderes Bild zeigt den äthiopischen Herrscher unter seinem Königsnamen Lij-a Ras Täfäri Mäkonnen, der auch der Rastafari-Bewegung ihren Namen gab.

// Jean Painlevé
geb. 1902 in Paris, gest. 1989 in Paris

Hyas et sténorinques (Seespinnen und Gespensterkrabben), 1928

35-mm-Film auf DVD, Schwarz-Weiß, Ton, 9’, Musik: Frédéric Chopin
Courtesy: Les Documents Cinématographiques, Paris

Les Amours de la pieuvre (Das Liebesleben des Kraken), 1965
35-mm-Film auf DVD, Farbe, Ton, 13‘
Regie: Jean Painlevé, Geneviève Hamon; Musik: Pierre Henry
Courtesy: Les Documents Cinématographiques, Paris
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Der französische Meeresbiologe und Dokumentarfilmer Jean Painlevé, der bereits in den 1920er-Jahren Techniken für Unterwasserfilmaufnahmen entwickelte, hat auf besondere Weise wissenschaftliche und ästhetische Methoden miteinander verschränkt. Sein Motto, „la science est fiction“ (Wissenschaft ist Fiktion), hat er in rund 200 Filmen umgesetzt, die größtenteils als Unterrichtsfilme vertrieben wurden, jedoch stark von künstlerischen Experimenten der Avantgarde und der ästhetischen Sprache des Surrealismus geprägt sind. Seine exakten Unterwasseraufnahmen sind mit suggestiver Musik von Frédéric Chopin bis Louis Armstrong unterlegt. Auch Zeitraffer und eine Sprecherstimme aus dem Off dienen – trotz ihrer pädagogischen Funktionen – der Dramatisierung und Fiktionalisierung des Dokumentierten. Die bizarren Kreaturen der Meereswelten wirken dabei weniger wie bedrohliche Monstren, denn wie entrückte Wesen, die einer geheimnisvollen Unterwasserchoreografie folgen. Auch tritt oftmals eine gewisse Vermenschlichung der Tiere ein. 

// Lisa Rave
geb. 1979 in Guildford, lebt in Berlin

Europium, 2014
Video, HD, 30’, Regie: Lisa Rave, Skript: Lisa Rave, Erik Blinderman
© Lisa Rave, VG Bild-Kunst, Bonn 2016
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Was hat die Magie des Spiritualismus’ indigener Völker mit der profanen Alltäglichkeit digitaler Flachbildschirme zu tun; und was verbindet das Tabu genannte Muschelgeld mit der europäischen Währung? Auf der Basis verschiedener Bildebenen, stellt der Videoessay Europium Beziehungen zwischen Papua-Neuguineas kolonialer Vergangenheit und dem Vorhaben, Rohstoffe aus der Bismarcksee zu schürfen, her. Der Film kreist um eine Erzählung über die seltene Erde Europium, die nach dem europäischen Kontinent benannt wurde. Der Stoff wird dem Meeresboden entnommen, um die Farbqualität der Displays von Smartphones und Flachbildschirmen zu erhöhen; und natürlich auch wegen seiner fluoreszierenden Eigenschaft, die zur Sicherung von Euro-Banknoten genutzt wird.
Der Film beschreibt diesen scheinbar banalen Fakt als Wiederkehr und Wiederholung der Geschichte und rückt dabei nicht nur die Komplexität der menschlichen Kultur, ihrer Ökonomien und Tauschsysteme in den Blick, sondern auch die unsichtbaren Geister der Vergangenheit, wie sie in den modernen Objekten unsers Lebens aufscheinen. (Philipp Kleinmichel)

// Julia Rometti & Victor Costales.
J.R.: geb. 1975 in Nizza;  V.C.: geb. 1974 in Minsk; gemeinsame Arbeit seit 2007

The Savagery of the Inconstant Stones (Die Wildheit der unbeständigen Steine), 2013
Doppelte Diaprojektion, 162 Dias
Courtesy: die KünstlerInnen und Galerie Jousse Entreprise, Paris
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Die Diaprojektion zeigt Porträts von kristallisierten Vulkansteinen aus der Provinz Cotopaxi in Ecuador. Die beiden Projektionen laufen asynchron, so dass sich immer wieder andere Konstellationen zwischen den Steinen ergeben. Rometti und Costales, die sich mit Diskursen der Anthropologie, Naturwissenschaften und Kulturtheorie beschäftigen, geht es in ihren Arbeiten um Ansätze des Multiperspektivischen und einer „kontrollierten Mehrdeutigkeit“ wie sie der brasilianische Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro formuliert hat.

// Quinn Latimer
geb. 1978 in den USA, lebt in Basel und Athen

A Stone for Victor and Julia (and Its Shadow) [Ein Stein für Victor und Julia (und seinen Schatten)], 2013
Digitraldruck

Ein poetischer, gestalteter Text zu Julia Rometti & Victor Costales Arbeit The Savagery of the Inconstant Stones

// Cristian Rusu
geb. 1972 in Cluj, lebt in Cluj

The Alpine Project, 2007–15
Modell, Serie aus sechs Collagen
Courtesy: Plan B, Cluj und Berlin

Cristian Rusus Alpine Project entwirft einen offenen utopischen Stadtraum, der totalitäre, imaginäre und subversive Raumkonzepte miteinander verschränkt. „Man könnte sich eine Route durch meinen Raumentwurf vorstellen, auf der man monumentale Tore, Plätze, Säulen und einen Triumphbogen erkundet, um schließlich die Arena des Berges zu erreichen. Das schlussendliche Ziel ist die kollektive Bewunderung des Berges (einer der Symbole des Erhabenen), das heißt, jedem wird die Erfahrung des Erhabenen zuteil. In The Alpine Project hinterfrage ich meine kulturellen Bezugsfelder und Forschungen zur Moderne – die immer noch wie ein globales utopisches Projekt auftritt, das seine Projekte und Ästhetiken, wie zum Beispiel neue experimentelle künstlerische Sprachen, politische Systeme, Bildpropaganda aller Art et cetera, standardmäßig hervorbringt. Die Idee utopischer Monumentalität als solche, die keinerlei Ideologie enthält und frei von Zeitgeist ist, eignet sich noch immer als Methode zur Umgestaltung sowohl der Kultur als auch Natur. Verstärkt durch eine Idee, die einer totalitären Ästhetik entspringt, verwandelt sie sich hingegen in eine wirkungsvolle Methode um das (kollektive) Erhabene zu erfahren.“ (Cristian Rusu)

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