50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus 1968

5. Mai - 23. September 2018


Walter Gropius am Tag der Ausstellungseröffnung. Er richtet sich mit einem Megafon an die Demonstant_innen
Bundespräsident Heinrich Lübke beim Besuch der Ausstellung '50 Jahre Bauhaus', 1968 im Württembergischen Kunstverein

Künstler_innen
Piotr Andrejew, Daniel G. Andújar, Ambrish Arora, Arte Nucleare, Yochai Avrahami, Galina Balashova, John Barker / László Vancsa, Willi Baumeister, Herbert Bayer, Ella Bergmann-Michel, Akshat Bhat, Marianne Brandt, Lucius Burckhardt, Abin Chaudhury, Constant, Peter Cook, Guy-Ernest Debord, Die neue Linie, Annapurna Garimella, Yvonne P. Doderer, Atul Dodiya, Ines Doujak, Drakabygget, Egon Eiermann, Francis Gabe, Eri Glas, Grapus, Walter Gropius, Dmitry Gutov / David Riff, John Heartfield, Helmut Heißenbüttel, Ludwig Hilbersheimer, Internationale situationniste, Isidore Isou, Jineolojî, Asger Jorn, Jacqueline de Jong, Shimul Javeri Kadri, Jitish Kallat, Revathi Kamat, Mustapha Khayati, Alexander Kluge, Kurt Kranz, Le Corbusier, Les Groupes Medvedkin /Colette Magny, Les Lèvres Nues, Michail Lifschitz, El Lissitzky, Mona Mahall / Asli Serbest, Vincent Meessen, Rahul Mehrotra, Kaiwan Mehta, Erich Mendelsohn, Ludwig Mies van der Rohe, László Moholy-Nagy, Mouvement international pour un Bauhaus imaginiste, Ernst Neufert, Hans Ferdinand und Hein Neuner, Mateusz Okonski, Gabriel Pomerand, PROVO, Madhav Raman, Lilly Reich, Józef Robakowski, Joost Schmidt, Margarete Schütte-Lihotzky, Rooshad Shroff, Alison und / and Peter Smithson, Herman Sörgel, Gruppe SPUR, Superstudio, Jan Tschichold, Raoul Vaneigem, Gil J Wolman

... und viele andere

Ein Projekt des
Württembergischen Kunstvereins Stuttgart

im Rahmen von
100 Jahre Bauhaus

Einführung

Am 4. Mai 1968, einen Tag nachdem Student*innen in Paris die Universität Sorbonne besetzt und den sogenannten Mai 68 ausgerufen hatten, wurde im Württembergischen Kunstverein die Ausstellung 50 Jahre Bauhaus eröffnet: begleitet von Protesten gegen die geplante Schließung der Hochschule für Gestaltung Ulm, die 1953 als Nachfolgerin des Bauhauses angetreten war.

Die von Herbert Bayer gestaltete und von Hans Maria Wingler, Ludwig Grote und dem damaligen Kunstvereins-Direktor Dieter Honisch konzipierte Schau wurde bis 1971 in acht weiteren Museen weltweit gezeigt. Sie gilt bis heute als eine der wichtigsten Nachkriegsausstellungen zum Bauhaus und war von höchster kulturpolitischer Bedeutung für die noch junge Bundesrepublik, ging es doch auch darum, die deutsche Kulturnation auf internationaler Ebene zu rehabilitieren. 

50 Jahre nach der Eröffnung von 50 Jahre Bauhaus unternimmt der Württembergische Kunstverein eine kritische Relektüre dieser Ausstellung. Sie setzt an den gesellschaftspolitischen Umbrüchen der 1960er-Jahre an und betrachtet das Bauhaus, seine historischen Kontexte und die Geschichte(n) seiner Rezeption aus heutiger Perspektive. Die Vorstellung vom Bauhaus als ein in sich geschlossenes, homogenes System soll dabei ebenso befragt werden wie jene Erzählungen, die Bauhaus und Moderne ungebrochen als Synonyme für Fortschritt, Freiheit und Demokratie verhandeln. Stattdessen geht es um die Ambivalenzen, die beiden zum Beispiel im Hinblick auf Totalitarismus und Kolonialismus eingeschrieben sind.

Die Ausstellung 50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus 1968, die sich über den Neu- und Altbau des Stuttgarter Kunstgebäudes erstreckt, folgt vier thematischen Strängen mit zahlreichen Exkursen und Nebenpfaden. Sie kreisen um die Rolle des Bauhauses beim Ausstellungs- und Grafikdesign der 1920er- bis -40er-Jahre; um künstlerische Gegenmodelle zur funktionalen Stadt und zur Konsumgesellschaft; um die Beziehungen von Avantgarde und industriell-militärischem Komplex sowie um Ausblicke auf das Konzept multipler Modernen.

Einige Exkurse wurden eigens für die Ausstellung von einer Reihe von Künstler*innen und Kurator*innen entwickelt. Es handelt sich um Unterbrechungen, Zwischenreden und Einmischungen von:

Daniel G. Andújar, Yochai Avrahami, John Barker / László Vancsa, Yvonne P. Doderer, Ines Doujak, Dmitry Gutov / David Riff, Alexander Kluge, Mona Mahall / Asli Serbest, Vincent Meessen, Kaiwan Mehta, Mateusz Okonski und María Salgado (temporäre Performance).

Die Einführung in die Ausstellung bildet eine Sammlung von Objekten, die – vom Ausstellungsmodell bis zu einer Tonaufzeichnung Walter Gropius’ – auf die Ausstellung von 1968 und ihre Zeit verweisen und zentrale Anhaltspunkte für das aktuelle Projekt waren. 

Den Prolog liefert Helmut Heißenbüttel am Eingang zum Vierecksaal: Auf Marcel Breuers berühmten B3 Stahlsessel (auch Wassily genannt) Platz nehmend, bringt er mit seinem Gedicht der mann, der lesbisch wurde (1967) die Geschlechterverhältnisse zu Fall: und damit die zentralen Pfeiler unserer modernen, auf binären Denkweisen beruhenden Weltordnung. 

Dem kontern im gegenüberliegenden Eingang zum Kuppelsaal gewissermaßen John Barker und László Vancsas mit ihrem für die Ausstellung neu produzierten Video Consequences, das unter anderem die männliche Dominanz der Bauhausdiskurse hervorhebt. 

Die über 500 Exponate von rund 60 Künstler*innen und ca. 40 Leihgebern umfassen sowohl historische als auch zeitgenössische Werke und Dokumente aus den Bereichen bildende Kunst, Literatur, Fotografie, Film, Design, Architektur und Stadtentwicklung.

50 Jahre nach 50 Jahre Bauhaus 1968 ist Teil des großangelegten bundesweiten Jubiläumsprojektes 100 Jahre Bauhaus.

PROLOG

Helmut Heißenbüttel, der mann, der lesbisch wurde, 1967

Gedicht, vorgetragen von Helmut Heißenbüttel in Marcel Breuers B3-Stahlsessel (Wassily). Auszug aus Urs Widmers Fernsehdokumentation Zweifel an der Sprache. Helmut Heißenbüttel, ein Portrait.

BESTANDSAUFNAHMEN
Diverse Objekte: Poster, Kataloge, Tonaufzeichnungen, Fotografien etc.

Der Auftakt der Ausstellung umfasst eine Reihe von Objekten aus dem Umfeld der 1968er-Bauhaus-Ausstellung, die auf die Fragestellungen, die dem aktuellen Projekt zugrunde liegen, verweisen. Sie beziehen sich auf folgende Aspekte:

Kontinuität
Bereits der Titel 50 Jahre Bauhaus suggerierte eine Kontinuität und Homogenität, die in Anbetracht der nur vierzehnjährigen Existenz des Bauhauses konstruiert erscheint. Die aktuelle Ausstellung fragt stattdessen nach den Brüchen, Verzweigungen und parallelen Entwicklungen im Umfeld des Bauhauses, die von der Moskauer Schule WChUTEMAS über das Imaginistische Bauhaus und die Situationistische Internationale bis zu zeitgenössischen Positionen, die sich mit den kolonialen Implikationen der Moderne beschäftigen, reichen.

Rehabilitierung
Mit der 1968er-Ausstellung sollte das nach dem zweiten Weltkrieg im Ausland stark angeschlagene Image der deutschen Kultur korrigiert werden. Das Bauhaus wurde dementsprechend als eine kulturelle Leistung der Weimarer Republik dargestellt, an die sich nach dem Zweiten Weltkrieg bruchlos anknüpfen ließe: im Sinne eines Re-imports aus den USA, wo das Bauhaus in Ruhe hatte heranreifen können.
Das Bauhaus wird so zu einer deutsch-amerikanischen Marke stilisiert. Nach der Schließung des Bauhauses 1933 durch die Nationalsozialisten haben nicht wenige der in Deutschland verbliebenen Ex-Bauhäusler*innen in den Bereichen Ausstellungs- und Grafikdesign, Industrie- und Wohnungsbau mit den Nazis zusammengearbeitet und sich teils zu deren Ideologien bekannt. Diese Aspekte wurden 1968 vollständig ausgeblendet. Stattdessen wurden das Bauhaus und seine Akteur*innen als Garant*innen von Freiheit und Demokratie stilisiert. Der aktuellen Ausstellung geht es nicht darum, über die moralische Haltung einzelner „Bauhäusler*innen“ zu urteilen, sondern zu reflektieren, in welchem Maße Totalitarismus selbst Teil jenes Projektes ist, das wir Moderne nennen.

Auslandsangelegenheit
Die nationale und internationale Tragweite der Ausstellung zeigte sich neben der Schirmherrschaft durch den Bundespräsidenten Heinrich Lübke insbesondere in der zentralen Rolle, die das dem Auswärtigen Amt unterstellte Institut für Auslandsangelegenheiten (IfA) einnahm. Dieses finanzierte nicht nur die Stuttgarter Ausstellung und übernahm die Kosten für Transport und Versicherung aller weiteren Stationen, sondern organisierte im Nachgang der eigentlichen Ausstellung auch die langjährige Tour einer verkleinerten Fassung derselben. Dabei legte das IfA auch den ursprünglichen Katalog in reduzierter Form wieder auf.

Homogenisierung
Die Walter Gropius gewidmete 1968er-Ausstellung war seiner Sichtweise auf das Bauhaus verpflichtet. Der Gründungsdirektor hatte bereits dreißig Jahre zuvor an der von Herbert Bayer für das MoMA in New York gestalteten Ausstellung Bauhaus 1919–1928 mitgewirkt, die, wie schon der Titel sagte, auf die Ära Gropius reduziert war. Zu seinen Sichtweisen zählen eine gewisse Depolitisierung des Bauhauses sowie die Herabsetzung des zweiten Bauhausdirektors, Hannes Meyer, dessen offene marxistische Haltung Gropius missbilligte. Auch Hans Maria Wingler, Gründer des Bauhaus-Archivs, Kokurator der 1968er-Ausstellung und Autor der ersten großen Monografie zum Bauhaus, die von einem Nicht-Beteiligten geschrieben wurde, steht für die Stärkung der Gropiusschen Position. So wurde Meyer in der 1968-er-Ausstellung tendenziell als Irrtum und Verräter verhandelt. Parallele und gegenläufige Entwicklungen zum Bauhaus aber auch kritische Positionen zu Funktionalismus, Rationalismus und kapitalistischer Konsumkultur blieben unbeachtet.

1968
Das Jahr 1968 stellte einen Höhepunkt der internationalen Student*innenproteste dar. Neben der Besetzung der Sorbonne in Paris, an der unter anderem die Internationalen Situationist*innen beteiligt waren, äußerte sich dieser auch in der Okkupation diverser Kunstereignisse wie der 14. Mailänder Triennale für angewandte Kunst Ende Mai 1968. Die deutschen Beiträge für diese Triennale, die niemals ihre Tore öffnen sollte, stammten größtenteils aus der vom Aus bedrohten Hochschule für Gestaltung in Ulm. Gegen deren Schließung war zur Eröffnung der Ausstellung 50 Jahre Bauhaus mit Transparenten protestiert worden, die sich radikal von der visuellen Sprache in Paris unterschieden.

Eine Tonaufzeichnung gibt Walter Gropius’ Ansprache an die Protestler*innen wieder, die mit der Depolitisierung des Bauhauses beginnt. 

Der Aufstand der jungen Generation war in Deutschland auch mit der Forderung nach einer eingehenden Aufarbeitung des Dritten Reichs, dessen Mitläufer*innen und Kontinuitäten verknüpft. Hinsichtlich des Bauhauses geschieht das insbesondere in den 1990er-Jahren.

Rahmen- und Vermittlungsprogramm / Publikation
Die Ausstellung wird von einem dichten Diskurs- und Vermittlungsprogramm begleitet. Dazu zählt unter anderem eine Performance, die die spanische Künstlerin Maria Salgado in Bezug auf Helmut Heißenbüttels genanntes Gedicht entwickeln und im September im Rahmen einer Konferenz aufführen wird. Zur Ausstellung erscheint eine Broschüre und (im Verlauf der Ausstellung) eine umfassende Publikation. 

deueng
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