Shutdown Programm #12

Frank Reuter, Der selektive Blick
ONLINE VORTRAG + GESPRÄCH
Mittwoch, 10. Februar 2021, 19 Uhr
Mit Frank Reuter, Robert Gabris, Ülkü Süngün
Sprache: Deutsch
System: Zoom
Anmeldung / Linkvergabe unter
ruehl(at)wkv-stuttgart.de

im Rahmen der Veranstaltungsreihe
Über lokale und globale Strukturen von Antiziganismus

kuratiert und moderiert von Ülkü Süngün

Historische Fotos der Minderheit Sint*izze und Rom*nja spiegeln in aller Regel die mehrheitsgesellschaftliche Perspektive wider: Es handelt sich um einen fremdbestimmten Blick. Dennoch werden solche Bilder in Ausstellungen, Medien oder Bildungsprojekten oftmals eingesetzt, ohne dass der Kontext – wie Entstehungsbedingungen und Wirkungen auf die heutigen Betrachter*innen – hinreichend reflektiert würde. Sie stehen auch in auffälligem Kontrast zu den überlieferten fotografischen Selbstzeugnissen von Sint*izze und Rom*nja. Das gesellschaftliche und mediale Konstrukt des "Zigeuners" ist von der heterogenen Lebenswirklichkeit der realen Sint*izze und Rom*nja prinzipiell zu trennen.

Diese tief greifende Differenz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung wirft grundlegende Fragen nach gesellschaftlichen Verwendungspraktiken von Bildern und den zugrunde liegenden Machtverhältnissen auf. Visuelle Medien, insbesondere die Fotografie, spielten und spielen in der Ausformung und Verbreitung von stereotypen Bildern der Sint*izze und Rom*nja eine Schlüsselrolle. Die Bilder sind untrennbar verbunden mit (teils romantischen, meist aber abwertenden) Vorstellungen und Projektionen und legen sich wie ein Raster über unsere heutige Wahrnehmung, meist ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Doch sie machten die Erfassung, Verfolgung und Vernichtung der Sint*izze und Rom*nja möglich und auch heute sind sie in medialen Diskursen etwa zu Asylpolitik und Arbeitsmigration sowie im alltäglichen Sprachgebrauch noch wirkmächtig.

Diese Bilder ins Bewusstsein zu bringen und zu analysieren, ist ein erster Schritt ihrer Dekonstruktion. Die Monografie Der Bann des Fremden. Die fotografische Konstruktion des "Zigeuners" des Historikers Dr. Frank Reuters von der Universität Heidelberg gilt als Standardwerk zur historischen Bildanalyse sowie medienwissenschaftlichen Antiziganismusforschung. In seinem Online-Vortrag im Württembergischen Kunstverein wird er anhand ausgewählter Bildbeispiele zentrale Mechanismen der antiziganistischen Bildproduktion erläutern.

Frank Reuter
Der Historiker Dr. Frank Reuter ist wissenschaftlicher Geschäftsführer der Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg. Als wissenschafticher Mitarbeiter im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma baute er von 1993 bis 2017 ein Archiv auf, führte zahlreiche Zeitzeugeninterviews mit Überlebenden des Völkermords und kuratierte Ausstellungen. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte liegen auf antiziganistischen Bilder in visuellen Medien, insbesondere in der Fotografie, auf der historischen Bild- und Stereotypenforschung, dem Völkermord an den Sint*izze und Rom*nja im Nationalsozialismus sowie deren Diskriminierung nach 1945. Seit März 2019 ist Reuter Mitglied in der Unabhängigen Kommission Antiziganismus im Bundesinnenministerium. Außerdem wurde er in den Beirat der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas berufen.

Robert Gabris
Robert Gabris, teilnehmender Künstler der Ausstellung Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser ist ein weiterer Gesprächspartner der Online-Veranstaltung ?Der selektive Blick. Er ist mit seiner Arbeit You Will Never Belong Into My Space (Replica of My Father's House. Model 1:20) in der leider derzeit geschlossenen Schau vertreten und wird über deren Entstehungsprozess und Kontext sprechen.

Zur Veranstaltungsreihe
Das Online-Gespräch Der selektive Blick ist der dritte Teil der vierteiligen von Ülkü Süngün kuratierten Veranstaltungsreihe Über lokale und globale Strukturen von Antiziganismus, die Fragen der aktuellen – leider derzeit geschlossenen – WKV-Ausstellung Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser vertieft und lokal kontextualisiert. Dabei geht es um eine Auseinandersetzung mit der Emanzipation der Rom*nja und Sinti*zze im Angesicht der gegenwärtigen Formen und Praktiken ihrer Diskriminierung.

In der aktuellen WKV-Ausstellung Actually, the Dead Are Not Dead. Una forma de ser, kuratiert von María García und Pedro G. Romero, werden künstlerisch-politische Artikulationen insbesondere der in Spanien lebenden Sinti*zze und Rom*nja, neben Werken über ihre widerständigen Praktiken und ihre Emanzipation, vielfältig thematisiert. Zentral hierbei ist das Fest, der Flamenco und die Kris – eine politische Form der Versammlung. Ausgehend und inspiriert von den künstlerischen Arbeiten der Ausstellung möchte ich mit der vierteiligen Programmreihe Über lokale und globale Strukturen von Antiziganismus, einige Fragestellungen der Ausstellung bezüglich des Wohnens, der Kriminalisierung, sowie der Verfolgung und Vernichtung thematisieren. Dabei sollen vor allem widerständige Praktiken innerhalb der Bürger*innenrechtsarbeit aufgegriffen und diese in einen Zusammenhang mit lokalen Ereignissen gebracht werden.
In Deutschland werden Ressentiments und Vorurteile gegenüber Sinti*zze und Rom*nja oft in die NS-Zeit projiziert und somit externalisiert, obwohl der Antiziganismus eine lange Vorgeschichte hat und auch nach Kriegsende wegen mangelnder Aufarbeitung ungebrochen weitergewirkt hat. Selbst heute findet er sich in konkurrierenden Erinnerungspolitiken zu den Verfolgten und Ermordeten des NS-Regimes wieder. In Formen von andauernder Kriminalisierung und extensiver polizeilicher Erfassung ist er ebenso auszumachen wie in Verbindung mit Migration und Flucht vor allem aus dem Balkan.
– Ülkü Süngün

Alle Veranstaltungen der Reihe Über lokale und globale Strukturen von Antiziganismus im Überblick

Radu Ciorniciuc, Filmemacher
Acasa, My Home
STREAMING
7.–10. Dezember 2020
ONLINE VORTRAG + GESPRÄCH
Montag, 7. Dezember 2020, 19 Uhr
Mit Radu Ciorniciuc, Lina Vdovil, Ümit Uludag, Ülkü Süngün
Sprache: Englisch

Verena Lehman, Mitbegründerin der Initiative Sinti-Roma-Pride
#dasdenkmalbleibt
ONLINE VORTRAG + GESPRÄCH
Freitag, 29. Januar 2021, 19 Uhr
Mit Verena Lehmann und Ülkü Süngün
Sprache: Deutsch

Frank Reuter, Forschungsstelle Antiziganismus, Heidelberg
Der selektive Blick
ONLINE VORTRAG + GESPRÄCH
Mittwoch, 10. Februar 2021, 19 Uhr
Mit Frank Reuter, Robert Gabris und Ülkü Süngün
Sprache: Deutsch

Mehmet Daimagüler, Rechtsanwalt (u.a. NSU Opferanwalt), Chana Dischereit (Landesverband Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg)
Neue Radikalität, alte Ressentiments im Ländle
ONLINE VORTRAG + GESPRÄCH
Mittwoch, 17. März 2021, 19 Uhr
Mit Mehmet Daimagüler, Chana Dischereit und Ülkü Süngün
Sprache: Deutsch

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