Über Fernsehen, Beckett.
19. Oktober 2024 – 12. Januar 2025
Eröffnung: Freitag, 18. Oktober 2024, 19 Uhr
Die Ausstellung Über Fernsehen, Beckett ist ein Projekt des Künstlers Gerard Byrne und der Kuratorin und Beckett-Expertin Judith Wilkinson. Sie präsentiert erstmals alle sieben wegweisenden Fernsehspiele, die Samuel Beckett zwischen 1966 und 1985 für den Süddeutschen Rundfunk (SDR, heute SWR) in Stuttgart produzierte: He Joe (1966), Geistertrio (1977), … nur noch Gewölk … (1977), Quadrat I (1981), Quadrat II (1981), Nacht und Träume (1982) und Was Wo (1985). Darüber hinaus zeigt sie Becketts für die BBC produzierte Fernsehfassung seines Stücks Not I (1975), die erst auf seinen Druck hin am 1. November 1977 vom SDR gemeinsam mit Geistertrio und … nur noch Gewölk … unter dem Titel „Schatten“ ausgestrahlt wurde.
Die Ausstellung Über Fernsehen, Beckett ist Zeugnis nicht nur der avancierten künstlerischen Praxis Samuel Becketts, sondern auch eines Moments experimenteller Offenheit, Risikobereitschaft und Pionierarbeit deutscher Fernsehanstalten. Was hat Beckett in dem damals noch jungen Medium Fernsehen als Alternative zum Theater, Kino und Radio erkannt? Die Ausstellung geht dieser Frage aus heutiger Sicht nach, einer Zeit, in der sich die Bedeutung und Funktion von Fernsehen angesichts von Internet, Social Media und Streamingdiensten radikal verändert hat.
Becketts Fernsehspiele greifen die Apparaturen und Strukturen des Mediums Fernsehen und dessen Mechanismen der Kontrolle direkt auf; als eine Art Matrix, um darüber ambivalente Machtbeziehungen zu verhandeln. Fast ausnahmslos stellen sie dem stummen (männlichen) Körper eine körperlose (weibliche) Stimme gegenüber.
Das Ausstellungsdisplay greift unter anderem eines der historischen Aufnahme-Sets im SDR auf. Neben den acht Fernsehspielen, die als Videoprojektionen in vier kino/theaterartigen Räumen gezeigt werden, umfasst Über Fernsehen, Beckett zahlreiche bislang unveröffentlichte Dokumente zu Becketts Aufenthalten in Stuttgart und zu seiner Arbeit im SDR. Diese werden in Form eines essayistisch montierten Frieses präsentiert, der auf Fotografien aus Archiven in Stuttgart, Baden-Baden und Reading (UK) basiert. Der Fries spiegelt gleichermaßen die kuratorisch-künstlerische Haltung zu Beckett wie zum Archiv wider. Zugleich werden hier die technischen und kreativen Prozesse, die Becketts Fernsehproduktionen auszeichnen, durch das Prisma des Archives greifbar.
Eine Auswahl von Filmen Becketts, darunter sein erster Film Film (1965, D: Buster Keaton, R: Alan Schneider), sowie Videos anderer Künstler*innen erweitern die Kontextualisierung der Fernsehspiele.
Die vier Projektionskojen sind so zueinander gestellt, dass sie in der Mitte einen fünften, leicht verschobenen quadratischen Raum ergeben, in dem das Set von Geistertrio angedeutet wird. Um von Koje zu Koje zu gelangen, bewegen sich die Besucher*innen kreuz und quer durch den bühnenartigen Raum. Während Becketts Fernseharbeiten in der Ausstellung als Kinoprojektionen gezeigt werden, sind seine Filme auf Monitoren und, wie der Fries, außerhalb der Kojen und des Geistertrio-Sets zu sehen.
So folgt die Ausstellung einer permanenten Umkehr und Verschiebung der Verhältnisse: zwischen Innen und Außen, Dokument und Dokumentation, Film und Fernsehen, Bühne und Ausstellung, Betrachtenden und Betrachtetes. Durch diese Umkehrungen und Verschiebungen schafft sie einen zeitgenössischen Zugang zu Becketts Fernsehspielen.
Beckett, der SDR und Stuttgart
Der Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett (geb. 1906 in Dublin, gest. 1989 in Paris) begann in den späten 1950er Jahren mit dem Medium Radio zu experimentieren. Er schrieb Hörspiele für die BBC, für RTF und den Süddeutschen Rundfunk in Stuttgart.
Durch Vermittlung des Kunsthistorikers Werner Spies, der damals Korrespondent des SDRs in Paris war, wurde Beckett 1965 mit Reinhart Müller-Freienfels bekannt gemacht. Der Intendant und Leiter der Fernsehspielabteilung des SDRs hatte zu dieser Zeit die Reihe Der Autor als Regisseur ins Leben gerufen und in diesem Rahmen bereits mit Künstler*innen wie Marguerite Duras, Wolfgang Menge oder Martin Walser zusammengearbeitet.
Die erste gemeinsame Produktion von Beckett und dem SDR war 1966 das Fernsehspiel He Joe, für das der Künstler, anders als bei der Bearbeitung durch die BBC, selbst Regie führte. Bis 1985 sollten sechs weitere Koproduktionen mit dem SDR realisiert werden.
Becketts Regiearbeiten in den Studios des SDRs sind von Beginn an von einer großen experimentellen Offenheit aller Beteiligten gegenüber der neuen Fernsehtechnik geprägt. Für seine Stücke legt er die Kameraführung zentimetergenau fest, macht detaillierte Angaben zu Szenenbild, Kostüm und Maske. Es entstanden sieben minimalistische Werke, die die Methoden und Rhetoriken des Fernsehens nicht nur ausschöpfen, sondern auch neu interpretieren.
Rezeption
Becketts Fernsehspiele haben Generationen von Videokünstler*innen nachhaltig geprägt. Zu denjenigen, die ihre künstlerische Bedeutung früh erkannten, zählt der kanadische Künstler Stan Douglas, der bereits 1988 für die Vancouver Art Gallery die Ausstellung Samuel Beckett: Teleplays 1987–1988 kuratierte, die vor allem die BBC-Produktionen umfasste.
Der französische Philosoph Gilles Deleuze widmete ihnen 1992 seinen Essay Erschöpft (Original: L'Épuisé). Durch das Fernsehen, so Deleuze, habe Beckett eine völlig neue Sprache, die aus Bildern und Räumen besteht, entwickelt. Becketts neue televisuelle Sprache sei nicht nur entscheidend für die Weiterentwicklung seiner eigenen künstlerischen Praxis gewesen, sondern habe zugleich völlig neue Formen des Umgangs mit den Möglichkeiten des Mediums Fernsehen hervorgebracht.